Gruppe 3

Das Prinzip Arbeiterbeglückung

Zur Kritik des Marxismus-Leninismus

OrtArbeit und Leben, Lange Geismar Str. 72, Göttingen
Zeit07.11.1998 ab 12:00h
Wenn mensch sich die heutige deutsche Linke genauer betrachtet, kann er dort zum einen einige Gruppierungen finden, die sich explizit auf den Marxismus-Leninismus (ML) beziehen (z.B. die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) oder die Zeitschrift „Gegen die Strömung / Organ für den Aufbau der Revolutionären Kommunistischen Partei Deutschlands“), zum anderen aber viele andere, die damit erstmal überhaupt nichts zu tun haben (wollen). „Ist doch in Ordnung so“, könnte jetzt gesagt werden, „da ist für jeden was dabei und keiner wird gezwungen, bei den Einen oder den Anderen mitzumachen.“ Wir sehen das etwas anders. Unsere Behauptung ist, daß weite Teile der Linken – ob MLer oder nicht – bestimmten gemeinsamen Fehlurteilen aufsitzen über das, was die hiesige Gesellschaft ausmacht. Bei genauerer Betrachtung von Veröffentlichungen der Antifaschistischen Aktion / Bundesweite Organisation (AA/BO) stellt sich beispielsweise heraus, daß diese auf einer theoretischen Grundlage agiert, die der von ML-Gruppierungen in einigen Punkten zum Verwechseln ähnlich sieht. Aber was soll daran nun „schlimm“ sein? Unserer unmaßgeblichen Meinung nach ist es nicht egal, welche Inhalte eine linke Organisation vertritt, solange sie nur den richtigen Leuten aufs Maul haut. Darüber, wie mensch Kapitalismus, Staat und das ganze andere Zeug kritisiert, darf und sollte gestritten werden, auch wenn schlaue ZeitgenossInnen solche Kontroversen mit dem Vorwurf des „unsolidarischen“ „Spaltertums“ am liebsten ganz unterbinden würden. Daher nun ein Schnelldurchlauf durch beliebte, aber unrichtige Auffassungen (nicht nur) der ML-AnhängerInnen. Kapitalistische Ausbeutung und bürgerliche Herrschaft werden richtigerweise als solche benannt, der Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist aber merkwürdig: Statt zu erkennen und zu erklären, warum die täglich erfahrbaren Rücksichtslosigkeiten gegenüber dem Wohlergehen der ihnen Unterworfenen mit Notwendigkeit aus dem Kapitalismus und seiner politischen Herrschaftsform hervorgehen, haben sie einen anderen Maßstab gefunden: die Gerechtigkeit. Wenn da jemand ein Leben lang arbeitet, sagen sie, hat diese Person auch ein Recht auf materiellen Wohlstand und faire Behandlung durch den Staat. Das steht ihr einfach zu – alles andere wäre ungerecht. An dieser Stelle denken solche Linke auf zwei unterschiedliche Weisen weiter: Einmal gibt es diejenigen, die es für einen täglich neu anzuprangernden Skandal halten, daß freie Marktwirtschaft und politische Herrschaft diesen abstrakten Rechtstitel offenbar einfach ignorieren – sie meinen, dies sei ein Anzeichen dafür, daß hier wohl nicht ausreichend demokratisch und verfassungstreu regiert werde. Wer „gerechten Lohn“ für sich und „bessere Behandlung“ für die Flüchtlinge wolle, komme wohl nicht umhin, die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) oder die MLPD zu wählen. Diese würden dann dafür sorgen, daß die „Vorrechte“ der Reichen abgeschafft würden. Wir meinen dagegen: Das Recht, das den einen die Vermehrung ihres Kapitals (Profit), den anderen die tägliche Plagerei für den gleichen Zweck (Lohnarbeit) garantiert, und die staatliche „Behandlung“ von Menschen, die aus dem systematisch hergestellten Elend ihrer Heimatländer flüchten – das sind gute Gründe, der bürgerlichen Gesellschaft die Feindschaft zu erklären. Wer in der Konkurrenz um die politische Führung der Nation mitmacht und sich zur Wahl aufstellt, hat etwas anderes vor... Zum anderen gibt es diejenigen, die die „Ungerechtigkeiten“ und „Vorrechte“ dadurch abschaffen wollen, daß sie eine Revolution machen und einen sozialistischen (Arbeiter-)Staat hochziehen, der dann ganz herrschaftsarm das macht, was sowieso allen zugute kommt – wozu der Staat dann überhaupt noch gebraucht wird, ist eine Frage, die sich wohl leider nur KritikerInnen dieser Herrschaftsform, ob sie nun bürgerlich oder sozialistisch daherkommt, stellen. Die FreundInnen des Arbeiterstaates behaupten, nur mit diesem ließen sich Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und „wahre Demokratie“ verwirklichen – übrigens alles Ideale, denen wir nicht über den Weg trauen und von denen wir nicht glauben, daß sie Gegenteile der kapitalistischen Prinzipien darstellen, aber dazu mal an anderer Stelle mehr. Damit nicht genug – die Weltsicht, um die es hier geht, treibt es KommunistInnen noch durch zahlreiche weitere Ideen aus, an ihr etwas „sympathisch“ zu finden: Sie hat Marx leider nicht bis zu der Stelle rezipiert, wo er aus seiner Analyse der kapitalistischen Produktionsweise folgert: Produktiver Arbeiter zu sein, ist kein Glück, sondern ein Pech. Und ihre Vertreter meinen, in ihrem Lob der Arbeit und der Arbeitenden (oder gleich des „Volkes“) verdammt marxistisch(-leninistisch) zu sein, wenn sie die „negativen Seiten“ des Lohnsystems einzig auf der Seite der „raffgierigen“ „Bonzen“ verorten. Wenn die nicht wären, wüßte mensch kaum noch Gründe, warum er dagegen sein soll. Genauso verhält es sich mit den wahlweise „gewissenlosen“, „versagenden“ oder (besonders beliebt) „von der Wirtschaft zu Handlangern degradierten“ Politikern, die für die ganze Misere verantwortlich sein sollen. Diese in der gesamten Linken äußerst beliebte personifizierende Herrschaftskritik ist so falsch wie verharmlosend: Das politische Personal, das tagtäglich sehr souverän darüber entscheidet, wie den Notwendigkeiten des Geschäfts hierzulande Genüge getan werden kann und vor allem wie der nationale Erfolg sogar noch besser gewährleistet werden könnte, kommt hier als Ansammlung von Charakterschweinen oder ohnmächtigen Opfern vor! Einige weitere Ansatzpunkte unserer Kritik – die aufgeregte Abfeierei noch jeder „Bewegung von Unten“, egal was sie so macht; die dummdreiste „Wir, die kleinen Leute, gegen sie, die herrschende Kaste“-Rhetorik; die sehr aufschlußreiche Behauptung, zwischen Reform und Revolution herrsche irgendwie eine „Dialektik“ und mensch könne doch nicht immer nur „Grundsatzkritik“ anbringen, sondern müsse „auch schon hier“ tatkräftig Gutes tun – und auch eine ausführlichere Darstellung unserer Gegenargumentationen passen hier nicht mehr hin. Dafür ist der Wochenendtermin gedacht – auch wer das hier Behauptete erstmal nicht komplett „unterschreiben“ kann, ist dazu eingeladen.