Peter Decker

Die Ideologie zur aktuellen Politik: "Der Staat spart!"

Transkription eines Vortrag vom 14.12.94 in Göttingen

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Die Einführung hat es ja schon angegeben: ich möchte nicht einstimmen in den Chor derer, die jetzt klagen, daß gespart wird, wie das die Interessenvertreter so tun. Man möchte ja sagen: sie tun’s, wie sich’s gehört. Dafür gibt es sie ja. Wenn ein Interesse geschädigt wird, meldet sich’s in der Demokratie und sagt: „Ich bin geschädigt worden, das geht nicht in Ordnung.“ Und wenn’s dann noch weiter macht, was ich übrigens in den Flugblättern von den verschiedenen Hochschulgruppen hier kaum gefunden habe, wenn es dann noch weiter macht, das beschädigte Interesse beim Argumentieren, dann landet es ganz schnell dabei, daß die Behauptung gemacht wird, ja, der Staat, das Gemeinwesen schädigt sich, wenn es an den Studenten spart. Übrigens, das ist nichts Studentenspezifisches: wenn an den Bauern gespart wird, sagen die Bauern: „Aber frische Eier wollen doch alle, und dann ist es doch ungut, wenn nur Großbetriebe überleben!“ Und wenn an den Studenten gespart wird (ich kenn’s wirklich aus 25jähriger Studentenpolitikertätigkeit), dann kommen die Studenten und sagen: „Aber gute Lehrer wollt ihr doch!“ Bis dahin, daß man sagt, im Namen des Standorts Deutschland darf doch an der Zukunftsressource Qualifikation nicht gespart werden.

Man wundert sich immer, oder man fragt sich immer bei so etwas, ob man’s für Heuchelei oder mehr für einen Treuebeweis halten soll. Heuchelei in dem Sinn, daß jeder in diesem Staat mit seinem Sonderinteresse, wenn es gerade geschädigt wird, ankommt und sagt: „Es ist doch nicht wegen mir! Es ist doch wegen dem großen Ganzen!“ Nicht wegen der Lehrerstudenten, sondern damit dann gute Lehrer herauskommen. Nicht wegen der Studenten der Medizin, sondern damit dann gute Ärzte herauskommen. Nicht wegen der Bauern, sondern damit es immer frische Eier gibt. Das ist Heuchelei. Jeder vertritt sein Interesse, indem er nicht sagt: „Ich will das. Schluß. Aus.“, sondern sagt: „Ich will das, und es wär ja nicht wegen mir.“

Die zweite Hälfte ist: es ist immerzu ein Treuebeweis. Ein Treuebeweis in dem Sinn: es steckt ja das Argument drin, man kann sich gar nicht vorstellen, daß die nationalen Anliegen mit den eigenen nicht übereingehen, daß die Anliegen, die Deutschland hat, wenn es mit seinem Geld umgeht, mit den Anliegen der Studenten einfach nicht zusammenpassen. Zu dem einfachen Konflikt: „Wir wollen“, na, meinetwegen, „gemütlich studieren, das eine oder andere Semester dranhängen – ist ja auch Lebensqualität – und der Staat will uns durchpeitschen“, „Wir wollen“ – oder andere Gruppen mit ihren Interessen – und die Nation verlangt von ihnen etwas, was ihnen nicht schmeckt ... so wird ein Interessengegensatz in der Demokratie nicht ausgetragen. Er kommt immer in der verlogenen Form daher, daß man für eine gute, anerkannte Sache eintritt, die doch niemand schädigen kann, und wenn er’s tut, der Staat, die Bundes-, die Landesregierung, dann schädigt er zuallererst sich selber.

Ich biete einen ganz anderen Ansatz an, der vorhin schon angekündigt worden ist. Ich möchte ein bißchen theoretisieren über Staatshaushalt, Steuern, Staatskredit ... und dann kommt schon heraus, daß das Sparen, das die machen, keine einfache Lüge ist, aber auch andererseits, „Sparen“ für das, was sie machen, ein ganz falscher Ausdruck ist.

Es kann jedem sofort auffallen: Heute ist in Bonn der Haushalt ’95 behandelt worden. Waigel sagt „Sparhaushalt“ usw., das sagen sie ja alle, und zum Sparhaushalt gehört, daß die Neuverschuldung (über die Schulden, die der Staat hat, wird sowieso nicht geredet), die Neuverschuldung, also die Vermehrung der Staatsschulden, die wächst „nur“ um 55 Milliarden. Das heißt, die wird jedes Jahr um 55 Milliarden größer. Hier, heute in der FAZ steht zum Beispiel (weil in Italien jetzt die Währung so schwer den Bach runtergeht, wegen dem Berlusconi, weil unklar ist, ob die Regierung sich halten kann), da steht: „Italien: die gesamten Staatsschulden von mittlerweile 2000 Milliarden D-Mark wachsen aber auf jeden Fall weiter usw.“ Man sieht nicht, wie dieser Staat noch zu retten sein soll.

Ja, Deutschland hat auch ungefähr 2000 Milliarden Schulden, vielleicht etwas weniger, vielleicht zwischen 1700 und 2000. Aber das ist bei Deutschland gar nicht das Problem. Also, die Schulden absolut sind nicht die Frage. Daß sie immer mehr werden, ist völlig klar. Sparen in dem Sinn, daß es darum ginge, daß man die Ausgaben den Einnahmen anpaßt, weil man nichts anderes zur Verfügung hat als Staat, daß man gezwungen ist (wie der Normalmensch), mit den Einnahmen zu haushalten und sich beim Ausgeben zu beschränken, weil es weiter nicht langt, davon kann nicht die Rede sein.

Deswegen will ich einmal ein bißchen erklären: Der Staat ist kein ökonomisches Subjekt wie die berühmten Haushalte. Wer Volkswirtschaft studiert, lernt: Haushalt, das ist die Grundeinheit des Wirtschaftens, der Haushalt. Der Staat ist kein Haushalt. Er ist nicht bei seinen Ausgaben den faktischen laufenden Einnahmen unterworfen. Er tätigt seine Ausgaben, und dafür beschließt er die Einnahmen. Wer kann das sonst schon noch. Wenn das Geld nicht reicht, dann muß halt mehr her. Das ist ein guter Standpunkt. Aber den kann nicht jeder. Der Staat kann den, wenn ihm das Geld für etwas nicht reicht, dann erhöht er die Steuern.

Und er tut’s ja. Ab 1.1.95 wird wieder 10% unter dem Titel „Solidarzuschlag“, „Solidaritätszuschlag“ auf die Einkommenssteuer erhoben, mit der Pflegeversicherung wird ja völlig neu Kasse geschaffen, wo Geld eingetrieben wird. Übrigens, ich weiß nicht, ob ihr euch über das schon mal Gedanken gemacht habt: da wird eine Kasse erfunden, nur, damit man Geld über sie eintreibt. Denn die Leistungen der Pflegeversicherungen, die sind früher teils der Krankenkasse, teils der Sozialhilfe anheimgefallen und von diesen Institutionen bezahlt worden. Wenn jetzt gesagt wird: „Ja, der Mensch im Alter braucht doch eine Pflege“, dann ist die Lüge daran: irgendwie war die gestern auch organisiert, diese Pflege. Und daß sie besser werden soll, behauptet ja nun wirklich niemand. Die Pflegeversicherung ist eine Sozialkasse, die ist erfunden worden, damit man unter einem neuen Titel neu Geld einzahlen kann, und damit, wenn man so will, die alten Kassen, aus der die Sozialhilfe bezahlt wird und die Krankenkasse, die entlastet. Wenn es überhaupt einen Unterschied gibt für den Pflegefall selber, dann besteht er darin, daß er, wenn er eine Pflegeversicherung hat ... dann wird das, was er zu vererben hat, nicht vorher in die Sozialhilfe hineingerechnet. Das ist ein Unterschied, den gebe ich zu. Aber sonst ändert sich für die Leute da nichts.

Also, der erste Satz war: Der Staat ist die politische Hoheit über die Gesellschaft von Privateigentümern. Alle anderen müssen sich das Geld verdienen. Mit Kapital, wenn sie eines haben, mit Arbeit, wenn sie keines haben. Der Staat holt sich’s, das ist ein ganz anderes Verhältnis. Jeder kennt es, wenn er Sozialkunde mal studieren mußte: Steuern sind kein Tausch. Wer Steuern zahlt, hat kein Anrecht auf eine Gegenleistung erworben. Anders wenn du, was weiß ich, Milch kaufst. Oder wenn du eine Versicherung bezahlst, da hast du ein Anrecht auf die Gegenleistung. Wenn du Steuern zahlst, hast du kein Anrecht auf eine Gegenleistung, der Staat holt’s bei dir, und dann gehört’s ihm. Und er holt’s nach eigenem Beschluß. Er beschließt, wieviel er braucht, und soviel holt er.

Jetzt gibt es aber eine Schranke der Besteuerung, nämlich die Brauchbarkeit der Steuerquelle selber. Das kennt der Staat. Er ist die politische Hoheit, die eine Gesellschaft, in der lauter private Geschäfte gemacht werden, verwaltet, organisiert, den Erfolg dieser Geschäfte herbeiführt. Und mit seiner Besteuerung belastet er genau diese Geschäftstätigkeit.

Da gibt’s einen charakteristischen Unterschied, der gerade, wenn man an die Grenzen der Steuer denkt, den Staatsleuten ins Auge sticht: Nämlich: die Besteuerung des Konsums der normalen Menschen ist eine Größe, die ist in beiden Bereichen variabel. Da kann man sagen: „Na ja, na, sollen sie sich das ... sollen ... nochmal 10 Prozent ... abdrücken für den Staat.“ Das geht. Und es wird ja wirklich weidlich gemacht.

Ganz anders verhält sich’s mit den Unternehmern. Die Unternehmer sind welche, die rechnen. Wenn da 10 Prozent wegkommen, lohnt sich’s vielleicht nicht mehr. Dann unterbleibt die Investition, dann unterbleibt das Geschäft, dann unterbleibt die Steuerquelle. Oder in einer weltweit offenen Ökonomie wie im Moment existent, wo der Unternehmer der freie Auswähler in einem Kosmos von Staaten ist, die alle sich ihm anbieten, bei ihm, „bei mir, bei mir, bei mir sollst du dein gutes Geld anlegen“ ... der Unternehmer kann sagen: „Ja, wenn ich hier soviel bezahlen muß, sind meine Gewinne schlechter als in einem vergleichbaren anderen Anlageland, also gehe ich weg.“ Diesem Widerspruch: gerade den Geschäftsleuten, für die doch der Staat Funktionen ausfüllt, nimmt er das Geld weg, diesem Widerspruch wird sich gestellt, und wir erleben schon seit langen Jahren eine kontinuierliche Umschichtung der Staatseinkünfte weg von der Kapitalbesteuerung, hin zur Besteuerung des Konsums, weg von der direkten Besteuerung, hin zur indirekten Steuer. Indirekte Steuer ist auch klar, was das ist. Das ist die Steuer, die am Schluß immer der Konsument bezahlt. Die Mehrwertsteuer, ich weiß nicht, ob ihr mit der Technik der Mehrwertsteuer vertraut seid, die muß jeder entrichten, der irgendeiner Ware einen Wertzuwachs zufügt. Aber er wälzt sie auf den Käufer über. Der letzte Käufer bezahlt die ganze Mehrwertsteuer. Nur der. Für alle anderen ist das ein durchlaufender Posten, damit kann man geschäftlich kalkulieren, kann man sagen, Steuervorauszahlung ist günstig, oder Steuerverzögerungszahlung hat betriebswirtschaftliche Effekte, nur tatsächlich ist bei der Mehrwertsteuer der letzte Käufer der Bezahler der ganzen Steuer. Und das ist ein Element dieser Umgruppierung.

(Vergebliches Suchen nach Artikel in der FAZ, der darüber berichtet, was Deutschland braucht, damit es wieder mehr Arbeitsplätze gibt, ein Punkt ist das mit mehr indirekten Steuern, und außerdem mehr Sozialabgaben)

Was macht der Staat eigentlich mit den Steuern, die er eintreibt? Also, er treibt sie ein nach Maßgabe der Ausgaben, die er so hat, die er für nötig findet. Aber wofür gibt er das Geld eigentlich aus? Gut, das ist eine riesen Palette, da kann man nicht alles aufzählen. Erstmal für sich selber, für seinen Apparat, für seine Verwaltung, zweitens für den Dienst, den er der Gesellschaft mit der Justiz, der Polizei und den Gefängnissen leistet, er stiftet Rechtssicherheit, er schafft mit seiner Gewalt die Verhältnisse, unter denen überhaupt nur private Geschäfte gehen. Er unterwirft jede Aktion dem Recht, an dem sie geprüft wird, und vollstreckt seine Regeln an den Rechtsbrechern. Ein Riesenbatzen Geld geht dafür drauf. Drittgrößter Posten des Staatshaushalts: das Militär. Der Staat schafft seine Souveränität im Innern, zunächst einmal ganz defensiv. Die ganz defensive Funktion des Militärs durch Abgrenzung nach außen. Ja, wir wissen, alle besseren Staaten, wie unserer, begnügen sich mit solch bescheidener Souveränität nicht, also Grenzbewachung, sondern haben auswärts Aufträge und Ziele und Funktionen für ihr Militär. Aber das minimale ist erstmal: er schafft überhaupt die innere Souveränität, so daß dann seine Regeln gelten, indem er jeden anderen Souverän mit der Androhung von Gewalt oder mit tatsächlicher Gewalt vom Territorium fernhält. Drittgrößter Posten, das Militär.

Ja, dann geht’s weiter: wofür gibt der Staat das Geld noch aus? Für die Herstellung innerer Verhältnisse, in denen die Geschäfte gedeihen. Jetzt wird’s also schon ein bißchen zirkulär: der Staat holt sich das Geld von den Geschäften, die privat laufen, und er gibt es aus zur Förderung eben dieser Geschäfte. Also: er pflegt und fördert seine Steuerquellen durch die Verausgabung des Geldes, das er eintreibt. Wie? Er fördert die Infrastruktur, er stellt Telekommunikation zur Verfügung, er sorgt für eine stabile Energieversorgung, und wenn’s nicht von selber geht – und nach dem 2. Weltkrieg ging in Deutschland so leicht gar nichts von selber am Anfang –, dann sorgt er dafür, daß es Stahl gibt, daß es Kohle gibt, alles, was eben so die Bedingungen für Geschäfte sind. Und er sorgt dafür, daß das Volk brauchbar ist und brauchbar gemacht wird. Brauchbar ist im Sinn von: daß es überhaupt irgendwie lebt (denn keineswegs alle werden aus lohnender Benutzung durch Unternehmer bezahlt), daß es irgendwie lebt, die Alten, die Kranken, die, die gerade nicht gebraucht werden; und daß es nützlich gemacht wird, daß es ein gesundes Volk ist.

Ist euch das schon mal aufgefallen, daß überhaupt die Kategorie „Volksgesundheit“ eine Errungenschaft des modernen Staats ist? Wenn man in die dritte Welt geht, die Leute sieht, da kann man gar nicht sagen, ob die krank sind oder gesund, die sind einfach nicht physisch in Schuß. Das ist ganz was anderes, da ist von Anfang an nie offiziell darauf geachtet worden, daß die Zähne an der richtigen Stelle sind, daß sie nicht krumm wachsen, daß sie gepflegt werden, daß sie dann auch einmal zwanzig oder dann, möglich, sechzig Jahre halten. Da sind Zufallskrankheiten vorhanden, also: einer hat sich einmal das Bein gebrochen, das ist ein Leben lang nicht mehr benutzbar.

Allein das, daß ein Volk intakt, also im engeren Sinn arbeitsfähig, brauchbar ist, ist eine hergestellte Sache. Na ja, der Staat gibt eingetriebenes Geld auch für so etwas aus, nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern weil das Volk gebraucht wird. (Das Argument ist wichtig, denn später komme ich noch zu einer ganz modernen Änderung der Lage. Ich kündige sie gleich an: es werden heute nicht mehr so viele gebraucht. Das ist ja ein furchtbar harter Ausdruck, furchtbarer Zynismus, aber er ist nicht der von mir, sondern es ist der dieser Gesellschaft. Es werden nicht mehr so viele gebraucht, und damit ändern sich alle Rechnungen.)

Und auch die Bildung gehört dazu, die Grundausbildung erst einmal, daß Lesen und Schreiben beherrscht wird, daß Rechnen gekonnt wird, soweit es dann halt reicht, soweit es dann kommt, daß die jeweils gültigen Kulturtechniken, die man für die Normalität des Berufslebens braucht, irgendwie verfügbar sind (also heute gehört der Computer dazu, aber auch, wie man Fahrscheinautomaten benutzt, alles nicht selbstverständlich), alles das wird hergestellt, dafür gibt der Staat Geld aus. Und es läßt sich alles ohne weiteres zusammenfassen unter dem zentralen Gedanken: der Staat gibt sein Geld überhaupt zur Förderung seiner Steuerquellen aus. Er tut etwas dafür, daß die Geschäfte gehen. Er tut etwas dafür nach der Seite der Rechtsordnung, nach der Seite von Infrastruktur und materiellen Geschäftsbedingungen und nach der Seite der Pflege des Volkes als dem bedeutendsten, vielleicht wichtigsten Geschäftsmittel.

Weil dem so ist, daß der Staat die Steuerquellen herstellt, macht er sich nicht davon abhängig, ob sie schon da sind, wenn er sie fördert. Ist das einleuchtend? Die Staaten der Welt, die kapitalistischen Konkurrenznationen wären nicht weit gekommen, wenn sie gesagt hätten: „Wie sehr kann ich meine Steuerquellen fördern, also das Geschäftsleben in meinem Land fördern?“ Ja, da muß ich erst schauen, wieviel eingegangen ist. Da muß ich erst schauen, wieviel ich schon eingenommen habe durch das gestrige Geschäftsleben. Das wäre ein langer Weg gewesen. Ein langer Weg, den seit dem späten Mittelalter kein Staat gemacht hat. Die haben nämlich sich eine ganz andere Einkommensquelle, Geldquelle, zugelegt. Und das ist, in dem Flugblatt hier steht es ja auch schon drin (in der Ankündigung steht’s drin), das ist die Staatsschuld.

Jetzt will ich ein bißchen was Ökonomisches über die Staatsschuld sagen.

(Angebot, auch was anderes zu machen, wenn das das Publikum nicht interessiert, jedoch: es interessiert sehr. Hinweis, Fragen sofort zu stellen, um jeden Argumentationsschritt einigermaßen sicherstellen zu können.)

Die Staatsschuld ist etwas Besonderes. Es gibt da einen Satz. Erst hat ihn der Martin Luther gesagt, und dann hat ihn der Marx gesagt: „Kredit ist Wucher!“

Der Martin Luther hat das gesagt vor dem Bild einer mittelalterlichen Gesellschaft, und da hat er sich furchtbar empören können darüber, daß, wenn Leute was haben, sie damit auch schon die Quelle haben, daß sie morgen mehr haben. Andere, die nichts haben und etwas brauchen, die zahlen nicht nur den Preis, sondern die zahlen mehr als den Preis, nämlich den Zins auch noch, wenn sie Kredit nehmen. Und da hat der Luther furchtbar geschimpft, und später haben die Christen lernen müssen, daß auch der Kredit eine christlich vertretbare Angelegenheit ist. Das liegt halt an der Religion. Sogar die Moslems lernen ja, daß der Kredit eine vertretbare Angelegenheit ist, obwohl sie auch (also der Koran) große Feinde des Zinses sind, weil die das für Ausbeutung halten. Also die abstrakteste Form des Kapitalismus, nämlich: wenn einer Geld hat, dann wird’s automatisch mehr, diese abstrakteste Form, die ist den vorkapitalistischen Gesellschaften immer als „irgendwie ist das nicht in Ordnung“ aufgestoßen.

Später hat der Marx dasselbe nochmal gesagt, aber anders. Der hat gesagt: „Kredit ist immer dann Wucher, wenn er nicht an Kapitalisten vergeben wird.“ Und das ist ein sehr guter Satz, der nämlich darauf geht, daß ein Unternehmer, der Kredit nimmt, damit eine Investition betreibt, mit der Investition Gewinn macht, und hinterher den Gewinn mit dem Geldbesitzer, der ihm den Kredit gegeben hat, teilt. Ja? Er muß einen Teil als Zins wegzahlen, ein Teil bleibt ihm als Gewinn. Der Unternehmer, der hat sich echt was Gutes getan damit. Er hat mit Kapital, das er nicht hatte, einen Gewinn gemacht, den er hat. Zwar nicht den ganzen Gewinn, teilen mußte er ihn, aber für ihn ist es ein echtes Mehr.

Für alle anderen ist es ein absolutes Weniger. Der Konsumentenkredit ist was ganz anderes. Der Konsumentenkredit, da nimmt ein Mensch, der kein Geld hat für Konsum, der nimmt Kredit, und der Effekt ist, er muß ihn zurückbezahlen, und zwar mit Zuschlag. Also: wenn der Konsument Kredit nimmt, wird er ärmer, wenn der Unternehmer Kredit nimmt, wird er reicher.

So, und jetzt kommt der Staat, und jetzt nimmt der Staat auch Kredit. Und der Staat ist definitiv kein Unternehmer. Wenn er also Kredit nimmt, dann vermehrt er damit den Reichtum nicht. Er zieht ihn ab.

Der Staat, sagen wir, primitiv und schön, plakativ, engstirnig, der Staat nimmt eine Milliarde und kauft Panzer. Was ist ökonomisch passiert? Er hat eine Milliarde, die er nicht hatte, als Kredit in die Landschaft gesetzt, aufgenommen. Er hat versprochen: das Geld wird mehr. Aber anders als beim Unternehmer wird das Geld durch seine Tat nicht mehr. Das steht dann in Panzern herum; entweder warten sie auf Krieg, oder es ist gerade einer. Verwertet wird da nichts. Da kommt nie mehr heraus, nie mehr Geld heraus. Aber das Versprechen „vermehren tut sich’s“, das hat der Staat schon gegeben. Und übrigens, er hält’s ein. Der Geldbesitzer, der ihm die Milliarde gegeben hat, die Bank meinetwegen, die kriegt schon die, was weiß ich, sieben, neun, zehn, elf, zwölf Prozent, je nachdem, was halt gerade aktuell ist.

Also, der Staat nimmt Kredit, behauptet, das Geld sei Kapital, ist es aber nicht. Es geht in staatlichen Konsum. Es findet eine Vernichtung von Reichtum statt, ein Verzehr. Mal unkritisch gesprochen, es findet ein Verzehr, ein Konsum von Reichtum statt. Es findet tatsächlich ein Konsum von Reichtum statt, und auf der Seite der kreditmäßigen Rechtstitel findet das Versprechen einer Vermehrung statt.

Zweite Rätselhaftigkeit: Wenn unsereins auf die Bank geht und Kredit will, dann sagt die Bank: „O. K., jederzeit, kriegst du, aber: wo ist die Sicherheit?“ Dann mußt du zum Beispiel ... die einfachste Form ist: du hast ein regelmäßiges Einkommen. Mußt du nachweisen, hast du, geht monatlich ein, und dann mußt du auch noch versprechen, daß, wenn du nicht bezahlst, Gehaltspfändung berechtigt ist. So, das ist die Sicherheit. Bei größeren Krediten ist das mehr, da muß man ein Grundstück haben oder irgend so etwas.

Was ist die Sicherheit beim staatlichen Kredit? Welcher Bank verspricht der Staat welche Sicherheit? Man muß sagen: das ist ein Kredit ohne Sicherheit. Da gibt’s nichts. Oder anders ausgedrückt: Worin besteht sie denn dann eigentlich, die Sicherheit? Warum kriegen diese komischen Subjekte, die das Geld gar nicht vermehren, warum kriegen die immer Kredit? Und übrigens: gigantisch, ja. Zweitausend Milliarden. Warum kriegen die den? Warum sagt da nicht der Privatmann: „Na also, dir geb’ ich keinen. Wo ist die Sicherheit“?

Warum kriegen die den? Die Antwort ist: weil der Staat der Herr des Geldes ist. Der macht es überhaupt. Er setzt es in Umlauf. Seine Gewalt, seine Hoheit ist die Sicherheit. Seine politische Hoheit, daß er die Bundesbank geschaffen hat. Daß die Bundesbank in allergrößter Not einfach Geld drucken kann, wenn sie will, und dem Staat geben. Daß er also als ökonomisches Subjekt über der Ökonomie steht, daß er das Geld nicht verdient, sondern schafft, das ist die Sicherheit, die er bietet.

Und die ist auch eine wirkliche, das stimmt. Das muß man ganz ernst nehmen. Ein Staat ist in einer Gesellschaft immer das letzte Subjekt, das noch zahlen kann. Wenn keiner mehr zahlen kann, der Staat kann’s schon noch. Warum? weil er das Geld macht. Also, wenn alles daneben geht ...

Zwischenmeldung: die Banken kämen schon und verweigerten den Kredit, wenn der Staat die Verschuldung zu arg betreibe, weil durch die Inflation die Härte der Währung abnehme

Ja, richtig. Ich wollte gleich zu den Grenzen kommen. Wie bei der Steuer: bei der Steuer gibt’s die Grenze, man schädigt die Steuerquelle, ja, vorhin gehabt. Welches ist eigentlich die Grenze bei der Staatsschuld? Ich muß mal schauen, ich komm’ gleich dazu. Ich werde mich hüten, die Grenze der Staatsschuld einfach zu bestreiten. (Heiterkeit) Ich muß bloß schauen, ob ich die anderen Sachen abgehakt habe, die da hingehören.

Ja, ehe ich auf die Grenzen der Staatsschuld komme, möchte ich noch den Schritt dorthin tun, also den Schritt zur Inflation, die du angesprochen hast.

(Zwischenfrage eines Menschen, ob er ein Foto machen dürfe. Genehmigung dessen mit dem Hinweis des Referenten darauf, daß er keinen Ruf zu verlieren habe. Heiterkeit im Publikum. Feststellung der journalistischen Herkunft des Knipsbildanfertigers: Extra Tip.)

Die Staatsschuld gilt in der politischen Debatte (also, ich meine jetzt: bei den Staatsleuten im Parlament) als eine Finanzierung von Staatstätigkeit, die einen Vorteil gegenüber der Steuer hat. Man sagt: die belastet die Steuerquellen, die Geschäfte, die privaten, die Löhne, die belastet die nicht. Sondern, und da kommt allenfalls das Argument (und das ist das Problem dabei): die unserer Kinder. Später mal.

Das ist unwahr. Selbstverständlich: Wenn der Staat sich ein Mittel verschafft, materiellen Reichtum an sich zu ziehen (meinetwegen die vorigen Panzer), wenn der Staat sich das Mittel verschafft, die Ergebnisse ganzer großer Produktionsanlagen bei sich zu kassieren, dann zieht er Reichtum aus der Gesellschaft ab. Wenn er jetzt sagt, da schädigt er niemanden, dann ist die Wahrheit nur: er schädigt nicht einen bestimmten. Tatsächlich schädigt er alle Geldbesitzer. Es ist eine andere Form der Enteignung. Die Steuer ist eine Enteignung: ich nehme den Bürger nach bestimmten Regeln und setze ihm Geld weg. Und die Staatschuld ist eine andere Form der Enteignung, nämlich: ich als Staat schaffe mit politischer Hoheit Kaufkraft, die mir gehört, und gehe damit kaufen. Der Effekt ist: hier tummelt sich massig Geld in der Gesellschaft, daß nicht seinerseits verdient worden ist, daß nicht selber Resultat von Verkäufen ist. Das andere Geld nämlich: die Privaten, die haben (ob sie Ausbeuter sind oder nicht, das ist völlig Wurst), die anderen haben Geld dadurch, daß sie vorher was verkauft haben. Also deren Geld ist realisierte Ware. Dem Geld steht ein materieller Reichtum gegenüber. Der Staat ist da anders: der eignet sich Geld an, geht damit kaufen, hat aber den Reichtum nicht vermehrt, sondern vermindert ihn in dem Maße, in dem er kauft.

Und das macht sich geltend. Das macht sich darin geltend, daß die Leute, die was zu verkaufen haben, entdecken, daß es leicht ist, Preise zu erhöhen. Und erst einmal muß man gleich sagen: was ist denn Inflation anderes, als daß die Leute, die was verkaufen können, höhere Preise verlangen.

Nun müssen wir noch einen kleinen Exkurs machen zu dem Thema Inflation. Sie gilt als gefährliche Konsequenz allzu großer Staatsschulden. Aber was macht sie denn überhaupt, die Inflation? Wen schädigt sie eigentlich? Ja, ich weiß nicht, wieweit ihr immer in dem Feld selber unterrichtet seid oder nicht. Es gibt doch bei den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen immer das Ziel „inflationsfreies Wachstum“. Die Regierung verfolgt seit ’45 das Ziel „keine Inflation“. Das ist eine der erfolglosesten Beschäftigungen, wenn man’s mal so nehmen will, nämlich: es ist ja nichts dran. Die Inflation ist säkular, wie andere Wissenschaftler dann über das Phänomen sagen. Ein Jahrhundert lang immerzu Inflation. So furchtbar fürchten müssen sie sie offenbar nicht.

Warum? Na, deswegen, weil man sich erst einmal fragen muß: Was macht sie eigentlich aus, die Inflation? Was schädigt sie denn? Wen schädigt sie? Ich hab’s gerade schon drin gehabt in meinem Argument: ja, die Leute, die eine Ware zu verkaufen haben, schädigt sie doch gar nicht. Die verkaufen ja teurer. Manchmal ist überhaupt Inflation ein Geschäftsmittel. Dann hängt’s natürlich davon ab: Wenn die Inflation steigt, und sie haben gerade sehr viel auf Lager, ist es natürlich günstig, weil ihre Ware teurer wird, obwohl sie sie gar nicht teurer gekauft haben oder gar nichts dafür getan haben, daß sie teurer wird; wenn sie natürlich nach dem Inflationsschub Material und Rohstoffe kaufen müssen, dann wird ihre Gewinnspanne schlecht. Aber insgesamt: wer was zu verkaufen hat, leidet im Prinzip nicht an der Inflation.

Wer leidet denn? Ja, halt mal wieder der berühmte kleine Mann in seinen verschiedenen Gestalten. Alle die, die fixe Einkommen beziehen, die keine Ware verkaufen und sagen: „Morgen verlange ich mehr, denn mein Konkurrent konnte ja auch mehr erzielen.“ Sondern alle die, die ein festgelegtes Einkommen haben. Das ist der kontrahierte Lohn, das ist der Rentner, das ist das BAFöG, alle die, die sind über lange Fristen auf eine Summe festgelegt. Wenn die entwertet wird, sind sie ärmer.

So, das ist zum Beispiel ein gar nicht besonders gefürchteter Effekt. Eher umgekehrt: im Laufe des Jahres wird der Arbeiter für den Unternehmer billiger. Klar, irgendwann ist dann wieder der neue Lohnkontrakt, dann ist wieder Inflationsausgleich vereinbart worden, dann ist man wieder auf dem Zustand, den man vorher hatte (wenigstens auf der Geldseite, die inneren Veränderungen in der Fabrik mal nicht gerechnet) aber das ganze Jahr über werden diese Bezieher fixer Einkommen immer billiger für, ja, den Unternehmer, aber im Grunde auch für den Staat. Sein Steueraufkommen wächst mit der Inflation, seine Ausgaben, bis er das BAFöG wieder erhöht, nicht.

(Zwischenmeldung: das Steueraufkommen wachse doch nicht, der Nominalwert bleibe gleich)

Nein, umgekehrt, der Nominalwert steigt natürlich, der Realwert bleibt gleich. In Wahrheit wird doch immer nominal gerechnet. Das „real“, das ist doch eine nachträgliche theoretische Betrachtung. Du stellst dich außerhalb des ganzen Zirkusses und sagst: „Habt ihr jetzt eigentlich den Reichtum vermehrt oder bloß die Nullen hinter den Zahlen?“ Nominal gerechnet steigen mit der Inflation die Umsätze, und wenn die Umsätze steigen, dann steigt die Umsatzsteuer. Manchmal überhaupt prozentual, manchmal, bei Einkommenssteuern, da ist es ja manchmal ganz lustig, da steigt dann tatsächlich sogar das Realeinkommen des Staates, weil die nominelle Steigerung der Einkommen dann eine Progressionsstufe in der Steuer erreicht, und dann ist es gleich nochmal heiß, denn wie gesagt, dann muß real mehr bezahlt werden. Gut, also insoweit ja. Klar, die Lohnempfänger zahlen natürlich nicht mehr Steuern, deren Lohn verändert sich ja nicht, bis der neue Kontrakt entsteht. Also: deswegen darf man das nicht besonders ernst nehmen, wenn die Staaten über die erste Konsequenz ihrer Finanzierungstechnik per Staatsschuld klagen und sagen: „Oh Gott, da gibt’s Inflation!“ Irgendwie haben die sich gut daran gewöhnt, und die haben kein Problem mit der Inflation.

Und wenn sie eines haben, dann nur über zwei Momente. Das eine Moment ist: es geht um ihren Grad, der ist heikel. Also der berühmte Übergang von der normalen zur galoppierenden, das gilt als heiß. Dann geht nämlich keine Geschäftsrechnung mehr, wenn galoppierende Inflation ist. Dann ruiniert die Unbrauchbarkeit des Geldes das ganze Geschäftsleben, das ist schlecht. Dann gibt es eine Flucht aus dem Geld, eine Flucht in die Sachwerte, dann wird nicht mehr investiert usw. Dann ist Ruin. Also: es geht um den Grad der Inflation, das ist das eine.

Und das zweite ist: an der Inflation wird eine Entwertung des Geldes manifest, die wirklich heiß bloß im Verhältnis zum Ausland ist. Im Inland nämlich ist die staatliche Hoheit mächtig genug, jedem Bürger das Akzeptieren der staatlichen Zettel abzuverlangen, ob die sich entwerten oder nicht. Ja, wenn ihr mal auf den Banknoten lest, was da drauf steht, da steht: „Gesetzliches Zahlungsmittel der Bundesrepublik Deutschland“. Es gibt ein Gesetz, das heißt: Jeder muß das als Geld nehmen. Du kannst in einen Laden gehen, und wenn der sagt: „Ooch, das schlechte Geld, behalt’s!“, ja, altmodisch: „Gib mir Gold!“, kannst du sagen: „Nein, in dieser Bundesrepublik Deutschland brauch’ ich kein Gold hergeben, du mußt das nehmen, du darfst den Preis festsetzen, aber das Ding mußt du nehmen!“

So, auswärts ist das nicht so. Wo die Macht des Staates nicht mehr hinreicht, da findet die Bewertung der Brauchbarkeit des Geldes rein ökonomisch statt. Da können Ausländer sagen: „Dieses Geld nicht, zahle in meinem heimischen Geld, in deinem ... das wollen wir nicht haben; dem vertrauen wir nicht, da steckt kein Wert dahinter, das entwertet sich stündlich.“ Ja, und da sind wir schon gar nicht so theoretisch aus der Welt, das findet laufend statt. Beispiel: die Russen versuchen, ihren Rubel konvertibel zu machen. Und er wird auch gehandelt gegen Devisen, aber wißt ihr, wo – an einem einzigen Platz der Welt, in Moskau. Kein Ausländer kauft Rubel, also kaufen überhaupt nur Russen Devisen. Dieses Geld hält den Vergleich nicht aus. Dieses Geld findet keine Nachfrage im Ausland. Da wird das Versprechen: „mit diesem Zettel hast du Zugang zu materiellem Reichtum, und der ist bemessen, und du kannst sein Maß vergleichen mit deinem Dollar, deiner D-Mark, und dann wirst du sehen, ob du gut oder schlecht fährst damit“ ... dieses Verhältnis gibt’s für den Rubel überhaupt nicht. Und der Rubel ist nur eine aktuelle Geschichte, die wir jetzt alle kennen. Aber tatsächlich haben inzwischen, na, ich möchte mal sagen, achtzig Prozent der Gelder dieser Welt dieses Schicksal hinter sich. Den brasilianischen Cruzeiro, das to... das Geld von Togo – ich weiß gar nicht, wie da das Adjektiv geht –, von Nigeria, von Ägypten, von der Türkei: wer will denn das, wer nimmt den das. Und da merkt man: was früher Gold war – ja, das gibt’s jetzt nicht mehr seit dem 2. Weltkrieg, daß zwischen den Staaten eben das ganz Echte, Harte, die Materiatur des Reichtums her muß, das war früher so – das ist ersetzt; aber es ist ersetzt dadurch, daß alle Zettel, alle nationalen Währungen der Prüfung unterzogen werden: inwiefern, oder in welchem Maß, sind die so gut wie Gold.

Insofern ist die wirkliche Gefährdung, die wirkliche Beschränkung der Staatsschuld die Brauchbarkeit des Geldes nach außen. Und kein Staat ist so bescheiden zu sagen: „Ach, mir reicht’s, wenn das im Inneren Zirkulationsmittel ist, und das wird gegeben und genommen, und auswärts ... die dürfen’s ruhig verachten, ich will deren Nachfrage auch gar nicht.“ Ja, das hat die DDR gemacht mit ihrem Geld. Das war so etwas. Die hat gesagt: „Ja, unser Geld hat eine interne Funktion, und auswärts gibt’s keinen Kurs; und wenn’s ihn gibt, dann gibt’s ihn für Turisten, ausgemacht.“ Der hat aber keinen ökonomischen Grund gehabt, dieser Kurs, sondern der war halt vereinbart.

Jeder Staat will, und das ist ein hohes Ideal, und wenn man so will, einer der großen schönen Wahnsinne (Wahnsinne, kann man einen Plural machen, na ja) des Kapitalismus, jeder Staat hat das Ziel, Schulden zu machen und sie als gutes Geld zirkulieren zu lassen. Das ist echte ökonomische Souveränität. Das zu schaffen: Schulden machen, damit das Geld vermehren, ohne daß die Ökonomie das verdient hat, es politisch vermehren, und alle Welt soll’s nehmen, und man soll damit einkaufen können wie mit echtem Geld.

So, und das ist ein Ideal, das haben inzwischen nur noch drei Nationen auf der Erde geschafft. Das eine sind die Vereinigten Staaten, die haben’s aus dem zweiten Weltkrieg geerbt, die Lage, und die haben sich eine ganze Weltordnung gezimmert, um dieses Verhältnis, diese Sondermacht einer Nation, diesen Punkt, wo es mal gelingt, was eigentlich nicht gelingt, nämlich Gewalt, Macht unmittelbar in Reichtum zu übersetzen – das ist ja nicht dasselbe, Macht ist: du kannst schießen, und alle müssen vor dir zittern; und Reichtum ist: du hast was – die Amis haben das geschafft nach dem 2. Weltkrieg, Macht in Reichtum zu übersetzen. Sie haben ihren Dollar zur allgemeinsten Währung gemacht, die ganze Welt dem Dollar erschlossen und allen anderen Ländern den Auftrag erteilt: „Verdient Dollar!“ Dollar war die allgemeine Reservewährung, Dollar war die Materiatur des Reichtums schlechthin. Und nur dadurch übrigens ist Gold verdrängt worden aus dem ganzen Zirkus, daß die Amis gesagt haben: „Unser Geld!“. So, und jetzt haben sie vierzig Jahre lang kalten Krieg gemacht, und in dem kalten Krieg sich Partnernationen gezüchtet, die auch potent sein sollten, die auch beitragen sollten zur Abschreckung der Russen, zur Beschädigung, zur Einschnürung des sozialistischen Lagers.

So, und da haben sie aber zuschauen müssen, daß zwei entscheidende Konkurrenten mit herangewachsen sind, das ist Deutschland, und das ist Japan. Und die, und praktisch nur noch die beiden anderen verfügen auch über Währungen, die die Qualität haben: das kann man nehmen, aufheben, und es ist wie ein Goldschatz. Bei allen anderen ...

(Ende der Kassettenseite, es wird davon erzählt, daß die anderen Währungen eben nicht diese Qualität hätten, auch nicht die anderen westeuropäischen. Diese seien nur zu Zeiten der Gleichberechtigung in der EWG durch die Umtauschgarantie, die die D-Mark darstellte, gestützt gewesen)

... war das französische und das britische und das italienische Geld auch gutes Geld. Und jetzt erlebt man ja, was passiert, am Beispiel Italien: Deutschland hat sich aus dieser Garantie zurückgezogen, man hat das EWS kaputtgehen lassen, man hat die Härte der D-Mark verteidigt, indem sie sich getrennt hat von den weniger zuverlässigen Geldern; und jetzt verliert die italienische Währung weltweit ihre Kredibilität, ihre Kreditwürdigkeit, und damit ist für Italien jetzt der Fall eingetreten: die können nicht mehr Schulden machen und als Geld zirkulieren lassen. Bei denen geht das nicht mehr. Die können Schulden machen und entwerten ihr Geld genau in dem Maß, wie sie Schulden machen. Da ist der Prozeß dann irgendwo witzlos. Sie entwerten ihr Geld in dem Maß, in dem sie es vermehren. Na, da ist nichts mehr drin.

Und dann kommen gleich die schlimmeren Sachen: sie müssen Staatsschulden aufnehmen in Fremdwährung, denn in eigener kriegen sie sie nicht mehr los.

Da merkt man, was das Starke ist, wenn eine Nation sich in eigener Währung verschulden kann. Letzten Endes hat sie Pflichten übernommen, nämlich zur Bedienung und Zurückzahlung hat sie Pflichten übernommen. Zur Bezahlung in dem Medium, daß sie selber herstellt. Das ist nicht übel. Du verschuldest dich in deiner eigenen Währung. Du kannst immer bezahlen, denn du machst das Geld ja sowieso selber. Anders England zum Beispiel nach dem Rausfall aus dem EWS, und jetzt Italien: die haben natürlich auch Staatsfinanzbedürfnisse, natürlich auch Staatsfinanzbedürfnisse, die weit über das hinausgehen, was sie einnehmen. Und wenn’s bloß die Schuldenbedienung von gestern ist, übrigens. In Deutschland ist die schon hundert Milliarden im Jahr. In Italien auch, einhundertzwanzig ist sie in Italien. Die müssen sich in fremder Währung verschulden, und dann übernehmen sie natürlich Pflichten, die heißen: „Ich muß meine Pflicht in einer Währung begleichen, die ich nicht herstellen kann. Die muß ich verdient haben. Also: ich muß Exporterfolge haben, damit das Geld hereinkommt, damit ich es dann an die Kreditgeber wieder verpfänden kann.“

Zwischenmeldung: warum denn dann Italien und Großbritannien überhaupt noch Kredite gewährt bekommen

Das passiert entweder, weil man dem Staat die Fähigkeit zu Überschüssen nach wie vor zutraut. Das dürfen wir nicht ganz herauslassen. Daß sie ihr Volk als ihre Potenz haben, daß sie daheim wieder lohnende Kapitalrelationen herstellen, daß dann Exporterfolge gelingen, daß also Geld verdient werden kann, ja, das traut man England, das traut man Italien trotz allem irgendwie zu. Das ist das eine Argument. Und das zweite, noch viel wichtigere ist: Gerade wegen des Problems, daß du nennst, kriegen Staaten Kredite vom Ausland eigentlich nur durch gewisse Garantien der anderen Staaten. Oder noch anders ausgedrückt: Dieses Spiel, von dem ich jetzt geredet habe, wäre doch schnell vorbei. Die Sieger in der Konkurrenz haben Überschüsse, die Verlierer haben Defizite. Eine Weile finanzieren sie ihre Defizite mit Schulden, und nach kurzer Zeit geht die Frage los: „Ja, könnt ihr die je bezahlen? Ist das also Geld, daß sich vermehrt, deine Schuld, oder ist das verlorenes Geld, daß wir euch geliehen haben und nie wiederkriegen?“ Dann ist der Kredit weg, dann kriegt dieser Staat kein Geld mehr, dann (und jetzt haben wir’s) fällt er aus dem Welthandel raus. Dann muß er Staatsbankrott (gab’s übrigens, aber seit ’45 nicht mehr) anmelden, sagen: „Nix mehr da, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren, ihr könnt mich ruhig pfänden, aber es gibt nichts.“

Portugal hat am Anfang des 20. Jahrhunderts mal einen Staatsbankrott hingelegt. Dieses Verhältnis ist verändert worden, und nicht zum Vorteil der Staaten, denen der endgültige Entzug von Kreditwürdigkeit erspart worden ist. Es war nämlich ein Mittel der Staaten, die den Erfolg in dem Handel mit denen haben. Hierher gehört die ganze Institution des IWF. Eine Institution, wo politisch Kredit vermittelt wird an Staaten, die keinen haben, die also ihren schon verloren haben. Und wozu? Dazu, daß die im Welthandel bleiben und die Mittel des Erfolgs der anderen weiterhin sind. Weißt du: du hast ein Land, das baut Kupfer ab, und kommt nie auf einen grünen Zweig, obwohl es ewig Kupfer verkauft. Die anderen kaufen das Kupfer, finden einen günstigen Preis, nehmen’s gerne, aber die Gesamtsumme der Kupfererzeugung und der Herrschaftskosten, die in diesem Land anfallen, werden vom Kupferpreis nie erlöst. Resultat: man richtet einen IWF ein und sagt: es gibt Sonderfazilitäten für Dritte-Welt-Länder, die gerade Anpassungsschwierigkeiten an schwankende Kupferpreise haben. Dann kriegen sie eine Milliarde und kriegen gleich dazugesagt, wofür sie’s auf jeden Fall nicht verwenden dürfen. Also: die Milchspeisung in den Schulen muß beseitigt werden, die Subventionierung von Lebensmitteln, die es gab (mal gab, woanders auch nicht), muß beendet werden, der Versuch des Staates, sich zu industrialisieren, der natürlich immer geht über (wie ich’s vorhin besprochen habe): der Staat macht Schulden, richtet Betriebe ein, die sich natürlich erstmal nicht lohnen, die dann zehn und fünfzehn Jahre Stahlwerke erstmal laufen haben ... IWF sagt: „Stellt die Stahlwerke ein, die kosten bloß und bringen nichts, und konzentriert euch auf euer Kupfer, allenfalls noch auf das Teepflücken.“ Dafür gibt’s Geld, für sonst nichts.

So, und dieses Verhältnis ist eingerichtet worden, und das ist der funktionierende Weltmarkt, den wir heute erleben. Und deswegen gibt es unglaublich viele Staaten, die eigentlich pleite sind und überhaupt Zugang zu Devisen nur dadurch haben, daß die anderen sie ihnen gewähren und das, was sie ihnen gewähren, immer weiter als Schulden anschreiben, obwohl es definitiv nie zurückbezahlt werden kann.

Zwischenmeldung: ob nicht auch die Banken ein Interesse daran haben, daß die Staatsverschuldung kontinuierlich steigt, weil sie daran verdienen

Klar. Ja, vielleicht noch mal ein Einstieg an der Stelle. Eigentlich ist die Staatsschuld nichts anderes als eine moderne Form dessen, was die Könige um 1600 herum als Münzfälschung betrieben haben. Ist euch das mal untergekommen? Es gab im späten Mittelalter und im entstehenden eine ganze Geschichte der Münzfälschung, und das Prinzip ist immer: der Wert, der da in dem Geld stecken sollte, war eine Quantität Gold oder Silber. Wenn man aber eine Legierung macht, wo weniger Gold und Silber drinsteckt, kann man dieselbe Münze haben, hat aber weniger Gold verwendet. So schickt der König erst die Münze in Umlauf und behält zweitens das Gold, das kann er dann nochmal in Umlauf schicken. Das ist das Prinzip, ja? Man entwertet das Geld, und zwar deswegen, weil man der Herr des Geldes ist, und bereichert sich darüber. Eigentlich ist die Staatsschuld nichts anderes.

Aber sie hat einen entscheidenden Unterschied: Sie macht genau diese Entwertung des Geldes zu einer Geschäftsgelegenheit für die Geldbesitzer. Und jetzt kommt genau dein Punkt: Ja, die Banken verdienen an der Staatsschuld. In doppelter Hinsicht. Erstens: die Banken können von sich flüssige Mittel, wie die so reden, also Geld, in Staatspapieren anlegen, und da kassieren sie die Zinsen. Das ist die eine Ecke, aber das ist die harmlose, das ist die, wenn man wirklich nichts besseres mit dem Geld anzufangen weiß, dann legt man’s fest. Für eine Bank ist das unüblich und eigentlich unvernünftig. Die Bank operiert letzten Endes anders. Die kauft die Staatsschuld, aber legt das Geld dann nicht fest, sondern benutzt die Staatspapiere als ihr Refinanzierungsmittel. Und das heißt: die wandelt erstmal Münze, also Geld, das sich nicht vermehrt, in Staatspapiere, die sich vermehren. Dann haben sie die. Zweitens aber machen sie auch das Geld, das sie da besitzen (eigentlich nicht besitzen, das besitzt ja der Staat, sie besitzen ja bloß das Versprechen, daß sie’s irgendwann zurückkriegen) ... aber mit diesem Versprechen macht die Bank jetzt ein neues Geschäft, sie sagt: da hat sie das Versprechen des besten Schuldners der Welt, des Staates; ja, auf dieses Versprechen kann sie noch eine andere Schuldverpflichtung eingehen. Man verleiht das Geld nochmal. Und nochmal, und nochmal. Und wenn man dann irgendwann mal zahlen muß, was ja vorkommen kann, dann geht man zur Bundesbank und beleiht nun wiederum das Staatsschuldpapier (da muß man ja einen Zins drauf bezahlen, muß man ja einen Diskont drauf zahlen oder einen Lombard, je nachdem), beleiht das, also: gegen Zins kann man das Staatspapier wieder flüssig machen und kann bezahlen, wenn man muß.

Aber auf der Basis hat man erstmal fünf Zinseinkünfte produziert, also: man hat die Million oder Milliarde erst dem Staat gegeben, dann hat man den Schuldschein über die Milliarde; dann hat man aber so einen guten Schuldschein eines so guten Schuldners, daß man auf der Basis die Milliarde noch fünfmal verleihen kann.

Wie geht das übrigens? Es geht so: Du sagst: „Letzten Endes habe ich sie doch, der Staat gibt sie mir todsicher wieder, und ich weiß es ja auch; die Bundesbank rediskontiert mir das, wenn ich’s brauche. Also kann ich dem Herrn Schneider versprechen: ,Du kannst über eine Milliarde disponieren. Wir haben die schon.‘“ Die brauchst die nicht haben als Bank. Du beschaffst sie dann, wenn sie nötig ist. Aber weil du das drei- und fünf- und siebenmal machst, dürfen halt Zusammenbrüche nicht gleichzeitig kommen. (leichte Heiterkeit) Das ist alles. Wenn sie nicht gleichzeitig kommen, steckt sie die Bank weg. Wenn sie gleichzeitig kommen, brechen Banken zusammen, und man merkt: ja, was anderes als ein Kreditgebäude war das gar nicht. Hier war kein Reichtum, der verteilt worden ist. Sondern hier ist ein Kreditgebäude. Aus den Schulden des einen mache ich das Guthaben des anderen und vice versa.

Zwischenmeldung: ob es nicht irgendwann zum Problem wird, wenn der Staat sich immer weiter verschuldet, weil dann auch die Zinsbelastung des Haushalts so hoch wird, daß da kein Spielraum mehr drin ist – was dann auch zu Krisen oder Börsencrashs führen kann

Was du sagst, ist okay. Das stimmt prinzipiell. Aber in jedem einzelnen Fall ist es keine wirkliche Schranke. Und das ist die Härte an dem Ding. Jeder Staatsmann kann dir sagen: „Man kann die Staatsschuld nicht bis ins Unendliche treiben. Da gibt’s auch dein Argument, war jetzt heute wieder. Die Matthäus-Meier hat natürlich als Opposition der Regierung gesagt: „Ihr zahlt doch schon ein Fünftel des Staatshaushalts als Zinsen weg. Wo soll das hinführen?“

Übrigens: Schon wenn einer sagt: „Wo soll das hinführen?“ ... Der Standpunkt „Na ja, heut’ geht’s schon“, der steckt ja da drin. Gut, morgen, also ist morgen das Problem. (Heiterkeit) Na ja, morgen sehen wir weiter. Also: man merkt es. Ehe ein Staat (noch zum Thema „Der Staat spart“) sagt: „Gut, geben wir’s zu, backen wir kleinere Brötchen“, ehe er das macht, versucht er, na ja, „verzweifelt“, da denkt man sich jetzt zu wohlmeinend in ihn rein ... (Heiterkeit) aber, ehe ein Staat zugibt: „Da backen wir kleinere Brötchen, wollen wir das Geld mal wieder ehrlich verdienen und uns nicht mehr vornehmen, als wir uns wirklich leisten können“, ehe er das macht, treibt er die ganze Finanzwelt in den Bankrott. Das macht der nicht, das macht keiner.

Zwischenbemerkung: das heißt, er macht dann eher Inflation

Na, selbstverständlich macht er eher Inflation. Übrigens jeder Staat der Welt, also nicht nur Deutschland. Das ist völlig eindeutig. Die Amerikaner ... jeder, der das betrachtet, sagt: „Ja, Mensch, das ...“

Das Allerschönste ist übrigens, das ist doch klar, das wird doch nie mehr zurückbezahlt. Es weiß doch auch jeder, das es nicht zurückzubezahlen ist. Jedes einzelne Bundesschätzchen wird schon zurückbezahlt, aber wo kommt das Geld her, mit dem das zurückbezahlt wird? Aus neuen Schulden. Per Saldo werden sie immer mehr.

Zwischenbemerkung: ob die Banken dann nicht so mehr daran verdienen, als wenn sie die Schulden endgültig getilgt bekämen, weil irgendwann die Zinsen höher seien als die Schulden

Ja, selbstverständlich. Auf die Dauer immer.

Zwischenbemerkung: der Staat könne doch nicht einfach (als letzte Möglichkeit) das Geld von der Bundesbank drucken lassen, weil diese unabhängig sei

Das ist richtig. Damit geben die Deutschen ja auch riesig an: Sie haben eine unabhängige Bundesbank, nicht jeder hat so etwas Schönes. Wir haben eine riesige Garantie der Solidität des Geldwertes, andere nicht. Und zwar: wenn die Nationalbank auf den Staat hören muß, auf die Regierung hören muß, dann geht da eben letztlich das Gelddrucken. Und bei uns soll das nicht möglich sein.

Jetzt nimm mal die Geschichte der Wiedervereinigung. Da haben die Bundesbänker mehrfach (einer hat sogar den Hut genommen darüber, der Pöhl) gesagt: „Das geht so nicht, das ruiniert uns die D Mark. Ihr könnt nicht ewig Schulden machen.“ Was kommt heraus? Die Bundesbank kann das Schuldenmachen des Staates nicht verhindern. Sie kann sagen, wieviel Zins sie nimmt, wenn sie was verleiht. Das kann sie. Sie kann übrigens die Staatsschuld darüber verteuern. Aber sagen: „Die nächste Milliarde nimmst du nicht, jetzt ist’s zuviel!“, das kann die gar nicht. Die erlebt ihre Ohnmacht. Das gibt’s jetzt so als Argumente im Wirtschaftsteil der Zeitungen. Bundesbankvertreter sagen da immer wieder: „Die Bundesbank kann die stabilisierende Geldpolitik nicht betreiben, wenn es Finanzdisziplin der öffentlichen Hände nicht gibt.“ Das ist so eine hochtrabende Ausdrucksweise für: „Wenn der Staat Schulden machen will, dann kann die Bundesbank es nicht verhindern.“

Nochmal die Frage: „Warum geht es?“

Zwischenbemerkung: es sei ja richtig, daß der Staat beim Schuldenmachen relativ autonom sei, aber es sei unverständlich, warum die Leute das glauben, daß der Staat die Schulden zurückbezahlt

Ja, man muß darauf achten: was glauben sie, und was glauben sie nicht? Du kaufst Bundesschätzchen: du kriegst dein Geld schon zurückbezahlt. Da steht drauf: „Fünf Jahre, jedes Jahr acht Prozent“, und nach fünf Jahren sind die tausend Mark wieder da. Du kriegst die schon. Überhaupt wird’s nicht zurückbezahlt, an dich wird’s schon zurückbezahlt. Darum können die Leute das gerne machen. Übrigens: die Leute sind da ganz rational in dem einfachen Sinn, daß die sagen: „Wo kriege ich für meine hundert oder tausend Mark am meisten Zinsen? Kauf ich Aktien, trage ich sie auf das Sparkonto, oder kaufe ich Staatspapiere? “ Da kommt heraus: Staatspapiere gelten als sehr sicher, ohne Risiko (bzw. nur das Inflationsrisiko), ja, und besser verzinst als das Sparguthaben.

Zwischenbemerkung: aus dem Ganzen ließe sich doch dann nur die Schlußfolgerung ziehen, daß wenn der Staat z. B. an den Studierenden spart, dann macht er das, um Leute vom studieren abzuschrecken – weil er könnte ja schon mehr Geld beschaffen, er will bloß nicht

Ja, ich möchte letzten Endes nicht darauf hinaus, daß es überhaupt keine Kalkulationen beim Staat gibt über sein Finanzgebaren. (Heiterkeit) Ich muß erst einmal die Seite betonen: er hat da riesige Freiheiten. Freiheiten, die sonst kein ökonomisches Subjekt hat. Das müssen wir erst einmal haben, und dann müssen wir über die Schranken, und wie er mit den Schranken umgeht, reden. Und auch da paßt „Sparen“ nicht als Beschreibung oder als Charakterisierung dessen, was dann getan wird. Sagen wir so, damit man eine Vorstellung hat: aus der Staatsschuld will kein Staat dadurch heraus, daß er sagt: „Backen wir kleinere Brötchen, zahlen wir’s zurück.“ Sondern aus der Staatsschuld will jeder Staat herauswachsen. Wenn wir zehn Prozent Wachstum hätten, dann wäre doch die Verschuldung kein Problem. Wir hätten immer größere Steuereinnahmen, wir hätten eine wachsende Verwendung der D Mark, ja, dann können wir die Verschuldung doch leicht bezahlen. Meinetwegen sogar mit dem Argument: der Posten im Staatshaushalt, der Zinsposten wird gar nicht prozentual größer, womöglich, bei großem Wachstum, sogar prozentual kleiner, ohne daß die Schulden weniger werden. Die werden schon auch noch mehr. Aber das Wachstum ist eben noch besser.

Der Reagan hat das in Amerika gemacht mit seinem Wahnsinnsprogramm vor zehn Jahren, als sie gesagt haben: „Jetzt rüsten wir die Russen endgültig tot, machen SDI, machen das teuerste Rüstungsprogramm, das die Weltgeschichte je gesehen hat, und ruinieren die amerikanische Kreditwirtschaft in Grund und Boden, wenn’s nicht aufgeht. Aber es soll aufgehen, und das machen wir dadurch, daß wir zugleich den Unternehmern die Steuern weitgehend erlassen, und die sollen wachsen wie verrückt.“ Es ist letztlich nicht aufgegangen. Aber das ist die Spekulation vom Staat. Die Spekulation ist nicht Beschränkung, Sparen, Rückzahlen, sondern die Spekulation ist: die ganze Nation umgruppieren, um so zu wachsen, daß die Staatsschuld getragen werden kann. Das ist das Ideal, ob es erreicht wird, ist eine andere Frage. Das hängt ja von der Konkurrenzlage ab. Aber das jedenfalls ist das Konzept.

Kein Staat steht auf dem Standpunkt „Rückführung der Staatsschuld und Rückzahlung“. Das gibt’s überhaupt nicht. Insofern ist es auch logisch übrigens, daß die kapitalistische Gesellschaft aller fünfzig, siebzig, vierzig, dreißig, hundert Jahre riesige Zusammenbrüche erleben muß. Ja klar, irgendwann stimmt das Argument von vorhin ja. Die Pflicht, Reichtum für aufgelaufene Schuldtitel abzuzweigen, ohne daß der Reichtum entsprechend wächst, führt irgendwann zu einer Offenlegung, daß es den Reichtum nicht gibt, der da behauptet wird. Und dann ist das Geld entwertet, und dann ist jeder Geldbesitzer auf einmal mittellos.

Zwischenbemerkung: wie es sich z. B. mit dem Börsencrash 1987 in Japan verhalte – haben sich dann da nicht auch Summen in Luft aufgelöst, die es überhaupt nicht gegeben hat

Das ist sehr schön. Von unserm Standpunkt aus kann man sagen: kein Mensch ist eigentlich ärmer geworden. Die Nation hat nichts verloren. Nullen sind weggefallen. Gut, auf der anderen Seite: ja, viele Privateigentümer, die Geld hatten, haben Geld durch Spekulation verdient, haben sich immer reicher rechnen können, weil die Kurse der Aktien steigen (du hast auf einmal eine Million, wo du vorher bloß eine halbe gehabt hast), und da kracht sie halt zusammen, dann ist sie weg.

Gut, das passiert eben, wenn der Wert eine spekulative Größe ist. Und das ist bei der Staatsschuld auch, bloß Achtung: die Staatsschuld war in dem japanischen und in dem amerikanischen Fall noch nicht angegriffen. Der Staat mit seiner Fähigkeit, Schulden zu machen und dafür einzutreten, ist unbeschadet aus dem Ganzen hervorgegangen.

Ich gehe mal zurück zu meinem Argumentationsstrang und mache ein bißchen weiter. Ich habe vorhin gesagt gehabt, daß die einzige echte Schranke der Außenwert der Währung ist, die Brauchbarkeit jenseits der Landesgrenze, das Akzeptiertwerden von Geldbesitzern anderer Nationen. Jetzt ist die Frage: wie verdient sich ein Staat eigentlich diese Akzeptanz bei Bürgern fremder Nationen, bei Geldbesitzern fremder Nationen.

Er verdient sie sich heutzutage (ich rede jetzt nur von der heutigen Lage) dadurch, erstens: daß er jederzeit für den Austausch der eigenen Währung wieder gegen fremde Devise selber garantiert. Er erwirbt sich das Vertrauen fremder Geldbesitzer nur dadurch, daß er sagt: „Vertrauen braucht ihr mir nicht. Wenn ihr meint, mein Geld sei schlecht, sofort könnt ihr euer fremdes dafür haben.“ Dafür braucht ein Staat einen Schatz, und der besteht heute nicht mehr aus Gold, sondern aus Devisenreserven. Wenn Bürger fremder Nationen sagen: „Ich habe D Mark und ich vertraue ihr nicht mehr.“ Dann geht man eintauschen. Und für die Relation eintreten kann die Bundesbank, solange sie Devisenreserven hat. Sie verteidigt das Vertrauen in ihre Währung, indem sie Devisen herausrückt. Mit einem klaren Effekt: wenn das Vertrauen wirklich ramponiert ist, dann ist sie ihren Schatz schnell los. Das hat man erlebt bei der EWS-Krise vor einem Jahr: da haben die Italiener und die Briten ihren Staatsschatz praktisch geplündert.

Zweitens: wodurch hat ein Staat, wodurch schafft ein Staat die Nachfrage nach der eigenen Währung bei Ausländern? Die müssen sie gut finden, ja? Wollen, erstmal für die erste Funktion: zum Kauf. Durch ordentliche Exportüberschüsse schafft sich ein Staat dieses Vertrauen. Die Exportnation BRD, die, solange es sie gibt, also wirklich, vierzig Jahre lang immer mehr exportiert als importiert hat, mal so als Klammeranmerkung: was muß solch ein Staat an anderer Stelle in der Welt ruinieren dadurch, daß das bei ihm geht. Ja, das Argument „Arbeitslosigkeit exportieren“ ist zwar ein bißchen moralisch angehaucht, aber in der Sache richtig. Ist doch klar: wenn eine Nation immer mehr verkaufen kann als andere, ja dann müssen doch die anderen mittellos werden darüber.

So, aber wer das kann, der schafft eine stetige Nachfrage nach seiner Währung. Der Ausländer sagt: „Einen VW kaufen – das ist ein gutes Auto. Eine deutsche Raffinerie kaufen – das ist eine gute Raffinerie.“ Was muß er machen? Er muß zu seiner Bank gehen, seine Cruzeiros, seine Gulden hinlegen und sagen: „Ich will D-Mark, ich will mir dort etwas kaufen.“ Man schafft Nachfrage nach der eigenen Währung. Wenn die groß genug ist, dann ist das Vertrauen, und jetzt haben wir etwas schönes, dann ist das Vertrauen in die Währung fest, scheißegal, wieviel Schulden die in dem Land haben. Wer auswärtige Nachfrage nach seiner Währung stiften kann, kompensiert die innere Verschuldung. Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Und wer dieses Vertrauen stiften kann, der kriegt immer mehr. Das ist nämlich das nächste Schöne. Wer die unteren Geldfunktionen vertrauenswürdig erfüllt (also eine D-Mark, mit der man immer etwas kaufen kann, stiftet), der kriegt die oberen Geldfunktionen geschenkt. Na, die Währung wird Reservewährung. Andere Länder kaufen sie, um gar nichts damit zu machen, sondern sie bloß im Keller zu halten. Ja, was ist Reservewährung? Das ist was Wunderbares für den Staat. Er kann Geld in die Landschaft hinausschicken, und es kommt nie mehr zurück. Es ist Wertgarantie bei anderen. Die halten dieses Geld. Die anderen wollen ihre Devisenreserven auffüllen, und womit füllen sie sie auf? Mit Dollar, Yen und D-Mark. Denn das sind die Gelder, mit denen jede Nationalbank (vom kleinsten und vom größten Staat) immerzu zahlungsfähig ist auf dem Weltmarkt. Mit denen jede Nation die nötigen Austauschaktionen organisieren kann, wenn sie über diese Währungen verfügt.

Für die BRD heißt das: „Nach unserer D-Mark gibt es immerzu eine Nachfrage, und zwar noch nicht mal eine kommerzielle, die dann Ware dafür sehen will, sondern eine finanzielle. Andere wollen unser Geld als die sichere Wertaufbewahrungsform, die ihr einheimisches Geld gar nicht leistet.“ So, und wo das ist, setzen sich die ganzen Abteilungen des Finanzgeschäfts, Wertpapieremissionen usw. obendrauf, und dann schaffen die höheren Etagen des Kapitalismus (da, wo die schmutzige Produktion überhaupt nicht mehr vorkommt, aber das Geld vermehrt wird wie nichts) ... diese edleren Formen des Geschäftswesens setzen sich obendrauf und vervielfältigen die Nachfrage nach der Währung, die aus dem Handel kommt. Das kennt man jetzt als das Plus im Sinn von: so eine Nation hat’s gut. Sie kann z. B. in fünf Jahren einen ganzen anderen Staat schlucken und kapitalistisch aufmöbeln, alles mit Schulden, und es ruiniert die Währung nicht.

Aber es hat auch ein Minus: Reine Finanzmanipulationen sind dann der Grund, warum die Nachfrage nach der Währung hoch ist, oder auch nicht. Das ist das Argument „heutzutage sind die Devisenmärkte dermaßen volatil“ („volatil“, das kommt von „volare“, das heißt „fliegen“, und das heißt, die sind unberechenbar: die schwanken total hin und her, steigende Kurse ganz schnell abgewechselt von fallenden Kursen).

So, jetzt möchte ich zwei Argumente miteinander verknüpfen. Das eine Argument heißt: wie verteidigt ein Staat in so einer Lage seine außergewöhnliche Potenz? Die Antwort ist: Standortpolitik. Das zweite, was dazukommt (und deswegen Klammer: Standortpolitik, darauf läuft’s jetzt hinaus), das zweite ist: ich muß nochmal an etwas zurückerinnern, nämlich: so eine Welt, in der die Nationalgelder das Gold ersetzen, ist nichts Normales in diesem System. Es ist eine Modernisierung. Die Amerikaner und die anderen waren furchtbar stolz darauf nach dem 2. Weltkrieg, daß sie das hingekriegt haben. Sie rechnen sich’s als Vernunft an. Übrigens: sie rechnen sich’s als Vernunft an, die den Wirtschaftsnationalismus der Nationen gedämpft hätte. Und man muß gar nicht „hätte“ sagen: hat.

Nur: zustande kommt das nur aus einer Sonderlage. Und die Sonderlage war: die Amis sind die einzige Nation, die Geld hat, die eine intakte Ökonomie hat, während Europa zerstört war, und die die militärische Hoheit gewonnen hat. Dann kann eine Nation sagen: „Mein Kredit, das, was ich schöpfen kann, ist für euch alle Geld.“ Das hat zwanzig Jahre gehalten. 1970 mußte Amerika seinen Goldaustausch versprechen. Also, das Versprechen hieß: „... und wenn jemand glaubt, der Dollar ist nicht gut genug: wir tauschen ihn jederzeit gegen Gold.“ Das ist immer schön: gerade weil sie das gesagt haben, haben sie ihn natürlich nicht tauschen brauchen. (Heiterkeit) Ja, wer den Austausch sichern kann, der hat ihn nicht nötig. Das ist wie mit den Banken: wenn alle Sparbuchinhaber auf die Bank gehen und Geld holen, dann ist die Bank kaputt. Aber wenn die Bank nicht zahlen muß, dann kann sie zahlen. Also nur, wenn die Bank nicht das Geld herausrücken muß, dann hat sie’s. Wenn sie’s herausrücken muß, dann hat sie’s nicht. Umgekehrt: wenn sie also jede Zahlung, die verlangt wird, tätigen kann, dann muß sie die totale Zahlung nicht tun. Gut, genauso bei den Amerikanern mit dem Dollar und dem Gold.

’70 war das erledigt. Andere Währungen haben sich als nützlich erwiesen, haben auch was getaugt und wollten den zu teuren Dollar nicht mehr kaufen. Die D-Mark hat ihren Aufstieg im wesentlichen darüber genommen, daß man gesagt hat: „Wir kaufen Dollar nicht mehr um jeden Preis.“

Dann kamen die zwanzig Jahre bis 1990, und da war die Sonderstellung des Dollars als alleiniges Geld vorbei; aber als herausgehobenes, ganz anderes Geld als alle anderen war der Dollar immer noch erhalten. Ich sag’s mal ganz abgekürzt: bloß wegen einem Ding. Die Weltmacht, die alle Marktwirtschaftsstaaten gegen die Sowjetunion verbündet, und da eine bedrohliche Kriegsfront erhält, sichert, eskaliert, je nachdem, diese Macht ist deswegen, weil sie z. B. alle europäischen Konkurrenten automatisch zu Kriegsschauplätzen herabsetzt, wenn’s dazu kommen sollte (und in den ’80ern war ja die Debatte mit: Wahnsinn, Kriegsvorbereitung, wir werden Kriegsschauplatz, Deutschland geht kaputt, anstatt groß zu werden darüber [also ist das der wahre Gehalt des Pazifismus?]), diese Lage hat sichergestellt, daß der Dollar, trotz eines relativen Wertabsinkens von seinem Wert, daß der Dollar als der letzte Hort des Geldes, als das Geld, welches, wenn alles in Frage gestellt wird, immer noch Geld ist, immer noch kapitalistischen Reichtum verbürgt ... diese Front, die Bedrohtheit der anderen Nationen, die Führerschaft Amerikas im ... ja, im kalten Krieg gegen die Sowjetunion, dieses hat dem Dollar immer noch eine Ausnahmestellung bewahrt. Und das Wichtige ist jetzt: und nur unter einer solchen Ausnahmestellung kommt dieser idyllische Zustand, daß zwischen Staaten letzten Endes nie bilanziert wird, also daß nie ein Staat endgültig in den Bankrott getrieben wird, nur unter dieser Bedingung kommt der idyllische Zustand zustande.

Diese Bedingung (es ist Kredit im Grunde grenzenlos vermehrbar), die hat das hervorgebracht, was wir die Prosperität des Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg nennen, und wo sich, man muß doch wirklich sagen, nicht nur die Sozialisten vor dem 2. Weltkrieg, sondern auch die Sozialisten nach dem 2. Weltkrieg bis in ihr Grab gewundert haben, daß das geht. Die Staaten des Ostblocks haben bis 1989 Jahr um Jahr gesagt: „Irgendwann kommt die große Krise des Kapitalismus, ewig kann das doch nicht so gehen.“ In ihren Lehrbüchern stand doch, daß es Krisen gibt; und mehr als Konjunkturdellen sind nicht zustande gekommen. Warum? Weil die Herbeischaffung aller Mittel des Geschäfts durch die Vorwegnahme mit Kredit in allen Staaten passiert ist, ohne daß die Strafe, nämlich: „Gebt mal nicht so an, euer Geld ist doch nichts wert!“, ohne daß die Strafe auf dem Fuß gefolgt wäre. Die Strafe kommt nur in der Konkurrenz der Nationen zustande, daß eine andere Nation sagt: „Na ja, also jetzt ist doch endgültig ... so, mit ... euer Geld wird nicht mehr akzeptiert. Euer Geld verspricht keinem Wert mehr, sondern ist eine Fehlinvestition. Das kauft man nicht.“ Oder meinetwegen auch anders gesagt: „Ihr habt Kredite von uns, die müßt ihr irgendwann mal zurückbezahlen, wir drängen auf Zahlung.“ Das ist vermieden worden. Und daß das vermieden worden ist, das war die Prosperität des Kapitalismus.

Übrigens, es ist einmal passiert, und zwar bei den Ländern Südamerikas. Aber eben nicht unter den Großen, nicht an den entscheidenden Stellen.

So, und jetzt haben wir eine Lage, wo der Dollar seine Sonderstellung erstens als ökonomisches Mittel und zweitens als politische Währung verloren hat. Die großen Konkurrenten sind keine bedrohten Länder mehr. Die großen Konkurrenten, Deutschland und Japan, haben Gewinne aus dem Welthandel, die eher besser ausschauen als die amerikanischen, und die Währungen stehen gegeneinander. Und merken immer mehr, daß diese Gleichung „ich mache Schulden und lasse sie als Geld kursieren“ nicht für alle gehen kann, denn die Härte einer Währung ist doch bloß das Spiegelbild der Schwäche einer anderen. So, und an der Stelle sind wir.

So, und deswegen, weil wir an dieser Stelle sind, kommen jetzt die großen Staaten, allen voran Deutschland als unser Beispiel, das wir vor Augen haben, auf den Punkt: „Wir müssen für die Solidität, für die Unangreifbarkeit unseres Geldes in der Welt etwas tun.“ Das ist das Ende dessen, was bis vor einigen Jahren gegolten hat, nämlich: es muß für die Berechenbarkeit der Währungsentwicklungen gemeinsam etwas getan werden. Wer zurückblickt und da schon länger Zeitungen verfolgt: da gab’s das New-York-Plaza-Abkommen, dann gab’s das Louvre-Abkommen, wo es immer darum ging: keine unberechenbaren Währungsentwicklungen, wechselseitige Stützungen und so.

Heuer heißt es, der Dollar fällt; und der Rexrodt sagt: „Ach Gott, das macht uns eigentlich nix, unser Handelsvolumen mit Amerika ist eh bloß zehn Prozent von unserem Außenhandel.“ Man zeigt offensiv das Desinteresse an der gemeinsamen Pflege der Währungen. Aber die Gefahrenlage, die merkt jeder. Die merken’s zum Beispiel (also jetzt wieder zurück): die Volatilität der Märkte, das ist im Moment ein Dauerthema aller, sowohl der Börsen als auch der Währungsmärkte. Aber die ziehen jetzt einen anderen Schluß daraus. Die ziehen den Schluß daraus: „Wir müssen, wir müssen, wir Deutschen müssen mit deutschen Mitteln dafür sorgen, daß deutsches Geld von keinem in Zweifel gezogen werden kann.“ So, und das ist das, was Standortpolitik heißt.

Die Standortpolitik ist etwas Eigentümliches, denn sie ist die Renationalisierung von Erträgen in einer längst global gewordenen Wirtschaft. Also: der deutsche Unternehmer hat doch längst nicht nur deutsche Arbeit und deutsche Kaufkraft als Geschäftsmittel. Er hat die ganze Welt als Geschäftsmittel. Nachfrage nach der deutschen Mark wird doch geschaffen nicht nur durch deutsche Exportprodukte, sondern durch die deutsche Bank, die in jedem Eck der Welt Kredite vergibt.

Und da wird Zins draufgezahlt, und das sind Einkünfte, die hat ein deutsches Institut. Das sind Gewinne, die in Deutschland als Gewinne verbucht werden, und es ist Nachfrage nach D-Mark, was vorhin das Argument war. Das macht die Währung hart, wenn andere sie nachfragen. Deutschland hat längst die Armut der Exportnation überwunden, die damals hieß: „Außer unseren arbeitsamen Bürgern und ihren Qualifikationen haben wir doch nichts.“ Kennt ihr das, das Witzargument: „Deutschland ist ein armes Land; während die Saudis Öl haben, haben wir im Grunde nur unsere Arbeit.“ Na, wer ist denn eine wirklich potente Nation, doch nicht die Saudis. Übrigens: soviel Werttheorie kann jeder Minister. Na klar, die Arbeit, die benutzte Arbeit macht eine Nation reich.

So, aber jetzt ist das Eigentümliche: die benutzte Arbeit war früher die einzige Quelle des Reichtums der deutschen Nation. Und sie ist gepflegt worden, weil sie die einzige war. Und sie ist heute längst nicht mehr die einzige Quelle. Der Nation ist eine andere Quelle erwachsen: der ganze Weltmarkt, die Arbeit aller anderen Nationen. Über das weltweite Finanzwesen und Kredit, wovon Deutschland eine große Abteilung ist, wird die Arbeit und der Reichtum aller anderen Nationen auch zum Mittel deutschen Reichtums gemacht. Die Produktion im Inland ist nur noch ein Reichtumsmotor. Das ist eigentlich die Lage.

Die Lage übrigens erlebt die Menschheit, die auf die Nachfrage nach ihrer Arbeit angewiesen ist, sehr negativ. Die berühmten Industriearbeiter blicken auf die Zeit der armen Exportnation als ein goldenes Zeitalter des gewerkschaftlich organisierten Arbeiters zurück. Ja, damals, da hat der Arbeiter noch was gegolten, da konnte man Löhne durchsetzen. Heute haben sie, was haben sie, vier Millionen im Land, die sowieso und gezähltermaßen zu nichts gebraucht werden. Von überhaupt nur ungefähr, ich weiß nicht, na ja, knapp vierzig Millionen. Knapp zehn Prozent Arbeitslose. Daß die Nation andere Quellen hat, kommt nach der Seite hin heraus als: man braucht sich um die heimische Quelle gar nicht so zu sorgen. Das ist die eine Ecke.

Die andere Ecke ist: Standort. Wir müssen etwas dafür tun, daß immer so viele Geschäfte von Deutschland ausgehen und in Deutschland konzentriert sind, daß die Frage der Aufblähung unserer Währung und unserer Staatsschulden, daß das unsolide wäre, daß die Frage nie aufkommt. Und unter dem Gesichtspunkt findet eine Sortierung der Nation statt.

Und die Sortierung ist nicht: „Jetzt wird’s aber echt kapitalistisch, und gestern war’s irgendwie gemütlich, anders.“ Ja, bei der Bildungspolitik kennt man’s doch. Jetzt gibt’s das Argument: es wird an den Unis gespart. Jetzt heißt’s: na ja, jetzt wird die Bildung stromlinienförmig für’s Kapital gemacht, oder so. Jetzt wird nur noch für industrielle Verwertungsbedürfnisse ausgebildet. Da haben wir immer das Problem: ja, wie war es denn eigentlich gestern? Ja, der Vergleich: Wenn man bloß zwischen „Gut“ und „Schlecht“ vergleicht und nach „immer schlechter“ geht, kommt immer ein kleines Lob für die Vergangenheit zustande.

Nein, es war anders, und darin liegt der Witz. In der Vergangenheit hat die Nation nach innen einen Entwicklungsstandpunkt gegenüber ihren Potenzen gehabt. Die Arbeitskraft, die Qualifikationen der deutschen Beschäftigten sollen gefördert werden. Ganz weit zurück war mal: man hat Mitte der ’60er eine Bildungskatastrophe diagnostiziert. Da muß man auch vorsichtig sein mit der Wahrheit dieser Entdeckung. Im Grunde war’s halt ein Vergleich. Man hat gesagt: „Amerika ist doch die modernste Nation der Welt, da wird das meiste Geld verdient. Und was haben die? Die haben zwanzig Prozent College-Absolventen. Und was haben wir? Zehn Prozent, ach, fünf Prozent Akademiker. Was liegt auf der Hand? Wir haben zuwenig davon. Mehr davon machen.“ Na gut, das war die Zeit: man pflegt die nationalen Potenzen, weil sie das Mittel sind (oder weil man ... ob sie’s sind oder nicht ist ja dann auch wieder gleichgültig), weil man sie als das Mittel nimmt, die Nation produktiver zu machen.

Heute, erstmal, andersherum: die Nation hat vier Millionen Arbeitslose, sie hat gar nicht das Problem, daß sie qualifizierte Leute bräuchte. Das Problem hat sich verlagert. Die Leute haben das Problem, ob sie attraktiv sind. Und das (wenn überhaupt ein wahrer Grund in dem Ding), das kriegt die Uni jetzt zu spüren.

Ich lese euch mal was vor (jetzt habe ich den Standort angefangen, nicht fertig gemacht, ich behalt’s in Erinnerung). Also, gestern stand in der FAZ: „Hochschulabsolventen mit geringeren Status- und Einkommenschancen; Beschäftigungsaussichten der Absolventen des Bildungssystems“. Und da kommt also: Man rechnet aus, daß im Jahr 2010 600000-900000 Hochschulabsolventen zuviel sein dürften, auch wenn die Berechnungen abweichen ... „In jedem Fall werden sich Hochschulabsolventen mit geringeren Status- und Einkommenschancen zufrieden geben müssen.“

Ja, was ist es? Diese Nation hat mit ihrer (das ist übrigens das Schöne) Bildungsoffensive der ’60er etwas losgetreten, nämlich einen Aufstiegswillen. Die Selbstverständlichkeit, daß der Sohn vom Schuster wieder Schuster wird, daß der Sohn vom Industriearbeiter Industriearbeiter wird und der Sohn vom Doktor ins Gymnasium geht, diese Selbstverständlichkeit hat man damals aktiv überwunden und gesagt: „Nein, die Nation kann ...

(Ende der Kassettenseite)

... Das hat funktioniert. Man hat die Einrichtungen hingestellt, und die Leute haben sich massenweise gefunden. Und wozu hat’s geführt? Von allem gibt’s zuviel. Es gibt zu viele Abiturienten, es gibt zu viele Akademiker, es gibt aber auch zu viele Lehrlinge ... es gibt von allem zuviel. Der Effekt: die Leute sollen schauen, daß sie attraktiv sind für den Arbeitsmarkt. Es ist doch nicht der Staat, der das Problem hat, die heranzuschaffen. Also kann man ohne Verlust an der Uni sparen. Dann gibt’s die Bücher eben nicht, die man in der Bibliothek sucht, dann muß man eben Fernleihe machen. Dann sind die Hörsäle eben übervoll und die Examensarbeit wird ewig nicht korrigiert; die Leute sind schon hinterher. Das ist die ganze Weisheit davon, warum die das machen. Das hat nichts zu tun mit: die jetzige wäre irgendwie dann besser, verschulter wäre besser oder nicht verschulter wäre besser. Ja, da haben alle so ihre Theorien, das fällt ins Feld der Pädagogik, und da machen die ihre Vor- und Nachteilsrechnungen.

Tatsächlich ist der Gedanke so simpel. Sie bezahlen ja inzwischen auch den Arbeitslosen, die eine Umschulung machen, nicht mehr wie früher selbstverständlich den Kurs, sondern sagen: „Du hast Arbeitslosengeld, und mit dem kannst du doch die Investitionen in deine ,man power‘ betreiben. Bezahle mit deinem Arbeitslosengeld den Kurs.“ Tja, wenn’s genug gibt ... Also, das ist, glaube ich, die ganze Weisheit von der Umgestaltung. Die sagen: „Wo kann man sparen? Da und da und da braucht es Aufwendungen nicht mehr, die es gestern gab.“

Umgekehrt: die Bemühung um den Standort Deutschland heißt nicht „Sparen“. Um den Standort Deutschland fest zu machen, wird massig Geld in die Landschaft, wieder massig Kredit in die Landschaft gesetzt. Das ist nicht der Punkt. Es ist nicht der Punkt: „Sparen“ heißt, weniger Geld auszugeben. Sondern (jetzt meinetwegen den Zusammenschluß vom Titel des Vortrags mit dem Resultat):

„Sparen“ heißt, die Prioritäten des Staatshaushaltes neu zu setzen; nicht weniger Geld auszugeben oder mehr, sondern anders Geld auszugeben. Konsumtive Ausgaben streichen, investive fördern. Zum Beispiel: die Telekom zu einer Firma zu machen hat die, ich glaube, mehrere hundert Millionen gekostet. Tja, aber jetzt ist sie ein „global player“, hat eine Investitionskraft wie sonst nur noch sieben oder acht andere, amerikanische und japanische, Firmen in diesem Zukunftsmarkt. Das ist es. Den ICE in alle Welt verkaufen, ja, da legt man sich mit den Franzosen an, da finanziert man die Entwicklung. Die Gentechnologie zum Projekt zu machen, da muß man alle früheren Ängste, daß man die Leute nicht vergiften will, hintenan stellen und sagen: „Der Standort Deutschland braucht das.“ Also so funktioniert „Standort Deutschland“. Es ist eine eigentümliche neue Sichtung, es ist nämlich eine Sichtung des inneren Wirtschaftslebens, das an ihm nur noch das gelten läßt, was die deutsche Stellung am Weltmarkt fördert.

Das klingt jetzt einem Deutschen schon dermaßen normal, daß es bei der Wirtschaft sowieso um den Weltmarkt geht, daß man gar nicht mehr weiß, daß es ein paar andere Felder ja auch noch gibt. Wenn Bauern Getreide machen, und es wird verfressen, dann war das auch eine Funktion, und übrigens eine, die es sogar braucht. Wenn Bergleute Kohlen aus der Erde holen, dann gibt’s die Kohle, und dann geht die in den Wirtschaftskreislauf ein usw. Jetzt sagt die deutsche Regierung zu den Bergleuten: „Ja, da hilft nix, wenn’s irgendwo in der Welt Kohle billiger gibt, dann brauchen wir sie hier nicht mehr.“ Früher gab’s mal den Standpunkt: „Dann haben wir sie daheim, dann brauchen wir schon keine Devisen ausgeben für die Kohle von den Polen oder den Australiern.“ Jetzt gibt’s das in Deutschland überhaupt nicht mehr. Äußere Kaufkraft haben wir jederzeit. Und innere Kosten bloß dafür, daß im Land Leben stattfindet, Reproduktion, daß Leute arbeiten und sich davon ernähren ... dafür wendet man doch kein Geld auf. Massig Geld wird aufgewendet, und muß aufgewendet werden, aber nur dafür, daß Deutschland Produkte zustande bringt. Am besten übrigens: Produkte, die alle anderen brauchen, wenn sie konkurrenzfähig sein wollen. Also selber die Rationalisierungsmittel der ganzen Welt produzieren. Das ist ideal. Da hat man eine Nachfrage nach der eigenen Ware geschaffen; die ist gewissermaßen außer Konkurrenz.

Also, „Standort Deutschland“ (Zusammenfassung) heißt nicht: Man will wieder zurück zur Exportnation, das ganze Volk benutzen, um möglichst viel Ware zum Exportieren zu haben. Sondern es ist umgekehrt. Es ist eine Sichtung des inneren Wirtschaftslebens nach der Weltmarkttauglichkeit. Und das heißt für viele: das Aus.

Ja, das Lehrbeispiel von all dem, was ich sage, ist die Behandlung der alten DDR durch Bonn. Da war eine vollständige Nation mit (wie wir heute wissen, alle kapitalistisch nicht rentablen, aber funktionsfähigen) Produktionsanlagen. Und die wird mehr oder weniger restlos brachgelegt. Und was kommt hin? Eine Chipfabrik von Siemens nach Dresden, eine vollautomatische Autofertigung von Opel nach Eisenach und eine von VW nach Mosel, Lothar Späth darf in Jena eine Produktlinie von Optoelektronik aufziehen, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. So, und der ganze Rest der Zone ist nutzlos, Menschenmaterial inklusive. Also das ist das: an der Behandlung der DDR hat man, na, wie im Vergrößerungsglas den wirtschaftspolitischen Standpunkt gesehen, den die Regierung nach der Wiedervereinigung dann auch (und wir merken’s jetzt langsam hier) auf ganz Deutschland anwendet.

Auch da heißt’s ja: „Daß in Schweinfurt Kugellager gefertigt werden, ist doch kein Argument. Daß die ganze Region davon lebt, ist doch kein Argument. Wenn sie weltmarktmäßig keine Schlager produzieren, können sie ruhig zumachen.“ Ja, früher gab’s das mal umgekehrt. Da hat es geheißen: „Wenn irgendwo eine große Firma in Schwierigkeiten ist, dann muß Staatsgeld her, damit die Engpässe überbrückt werden.“

Zwischenbemerkung: in dieser Reinform würde das wohl nicht funktionieren, weil die Notwendigkeit bestünde, das Volk ruhig zu halten – Bsp. Staatsmittel für Eisenhüttenstadt und Lemwerder

Also, sagen wir mal so. Soweit ich jetzt zur Darstellung des Gemeinten übertrieben habe, streichen wir die Übertreibungen wieder weg. Ob das, was sie machen, zur Sicherung des inneren Friedens dient, also zur wenigstens negativen Anerkennung der Interessen der Geschädigten ... da habe ich meine Zweifel. Irgendwie ... die bieten, ja, die bieten meinetwegen den ganzen Ex-DDR-Bürgern, also einem Riesenteil der Bevölkerung, bieten sie einfach den Abstieg über die Arbeitslosenkassen an. Sie werfen sie nicht ins Nichts, sondern sie bieten ihnen den Abstieg an, und bei Gelegenheit, wenn die Jahre dann herum sind, landen sie in der Sozialhilfe. Dann können es die Kommunen nicht mehr bezahlen ...

Also, das ist noch ein Argument, das wir vorhin, vor dem Vortrag, gehabt haben. Es findet ja bezüglich des Sparens etwas Eigentümliches statt, nämlich eine totale Umverlagerung der Finanzkraft von den bürgernahen Formen des Staats zu den bürgerferneren Formen des Staats (also von der Kommune zum Land, vom Land zum Bund). Da kann natürlich der Landespolitiker leicht sagen: „Ja, wo soll ich’s denn hernehmen für eure Uni, ich tät ja gern!“ Aber es hilft ja nichts. Staat ist Staat. Er verwaltet ein, was weiß ich, ein Zwölftel von diesem Deutschland, und in diesem Deutschland geht’s eben nicht mehr um so etwas. Nicht mehr so sehr wie gestern.

Also, wie gesagt, der große Hammer besteht doch darin, daß die Institution, die den sozialen Frieden eventuell strapazieren könnte, zum größten Schreihals in Sachen Standort Deutschland geworden ist. Es ist schon etwas Hartes: die Gewerkschaft übernimmt das Argument „Standort Deutschland“, als ob es ein Angebot an das Gewerkschaftsinteresse wäre und zur Kritik an vaterlandslosen Kapitalisten. Diesen sagen „Hier, hier!“ Heute wieder in der Zeitung. Also, jetzt ging’s darum, ob Mercedes sein neues Swatch-Auto in Deutschland baut. Wer vertritt den „Standort Deutschland“-Standpunkt jetzt? Der Betriebsrat. Und gegen wen? Na, gegen die Franzosen, denn dort soll’s gebaut werden. Also, die Härte ist: wenn erst mal die Arbeiterschaft kapiert hat, wenn sie erst mal den Wahnsinn versteht: es wird alles immer produktiver (VW vermehrt die Produktivität in seinen Fabriken im Jahr um achtzehn Prozent, ich weiß nicht, ob sie’s jedes Jahr durchhalten können, aber sie haben’s im letzten getan; um achtzehn Prozent, es gibt achtzehn Prozent mehr Effekt aus jeder Arbeitsstunde), die Nation wird gebrauchswertmäßig exorbitant reicher, wenn der Prozentsatz durchgehalten werden kann in fünf Jahren doppelt so reich wie vorher ... wenn Menschen in dieser Lage einsehen: heute ist nicht mehr finanzierbar, was gestern ging, gestern, als alles noch nicht so produktiv war, dann haben sie ja einen Hau; aber wenn sie das einsehen und das Ganze schieben auf: „Ja, der Chinese arbeitet ja noch viel billiger“, dann haben sie auch schon verstanden, daß ihr eigenes Leben aus einem Rentabilitätsvergleich mit dem letzten Hungerleider auf diesem Globus herauskommt. Dann sehen sie ein, daß ihr Lebensunterhalt aus so etwas herauskommt.

Und was machen sie? Sie stellen sich dem. Also (jetzt wieder, schön), der Daimler-Betriebsrat protestiert und sagt: „Sie haben uns die Zahlen nicht ordentlich vorgelegt, denn wenn sie sie ordentlich vorgelegt hätten, hätten wir ihnen vorgerechnet, daß wir billiger sind.“ Ja, jetzt sind sie in einer Billigkeitskonkurrenz mit dem Rest der Welt.

So, und deswegen: wenn ein Volk die Schädigung von seiner Lage so versteht, dann braucht sich die Regierung um den sozialen Frieden nicht sehr sorgen.

Zwischenfrage: wieviel Arbeitslose sich denn diese Nation überhaupt finanziell leisten könne

Also, erst einmal: die Überlegung, die du vorträgst, wird gemacht. Die gibt’s als: „Ist es billiger, Subventionen an Fabriken zu bezahlen als Arbeitslose?“ Das hat nur einen Haken. Das wird sowieso nicht aus denselben Töpfen bezahlt. Die Subvention ist ein Geld, das der Staat aus seinem Staatshaushalt aufbringen muß, also durch Steuern oder Verschuldung. Die Arbeitslosengelder werden aus dem Lohn der Gesamtheit der Arbeiterschaft bezahlt, in der Form der Versicherung.

Zwischenbemerkung: aber es gäbe doch einen Zuschuß vom Bund, d. h. also: diese Töpfe seinen auch „nicht ganz zusammenhanglos“

Tja, nicht ganz zusammenhanglos, das stimmt schon ... nicht ganz zusammenhanglos. Das heißt erstmal sind’s zwei Sachen, der Zuschuß, den Bonn an die Arbeitslosenkasse bezahlt, ist ein Politikum. Da wird jedes Jahr drum gestritten, heuer wird er, glaube ich, um vierzehn Milliarden abgesenkt. Ich mir nicht ganz sicher, aber er wird abgesenkt, es gibt einen Streit darum, die können jetzt vieles nicht mehr bezahlen, was sie schon eingerechnet hatten. Bonn zahlt weniger. Ja, weil man andere Prioritäten hat.

Das zweite ist (und das wird in Deutschland im Augenblick an der Kohle abgehandelt): Dauersubventionen ohne Perspektive sind eigentlich falsch. Wenn eine Subvention (und da gibt’s dann vom Wirtschaftsminister durchaus Verständnis), wenn eine Subvention geeignet ist, einen Betrieb aufzumöbeln, so daß er dann irgendwann wieder ein Weltmarktschlager wird, also zu Deutschlands Potenzen am Weltmarkt beiträgt, dann kann man die Investition machen. Wenn es nur Geld dafür ist, daß die Leute bezahlt werden, dann macht man’s nicht. Und das dritte, was du sagst, ist: „Wie lange kann man das eigentlich finanzieren?“ Da meine ich: wir sind längst an dem Punkt, daß man es nicht mehr finanzieren kann. Und das ist nicht eine Geschichte, die ich erfinde, sondern damit schlagen die sich herum. Weil (vom Staatszuschuß abgesehen, aber der ist ja wirklich ein Tropfen im Verhältnis zu dem Finanzvolumen) die gesamten Sozialstaatsfunktionen, Rente, Krankenwesen, Arbeitslosenwesen, aus dem Lohn der Nation bezahlt werden, ist klar, daß sie dann nicht reichen, wenn sie gebraucht werden. Daß es wunderbare Einrichtungen sind, wenn’s keine Arbeitslosen gibt. Der Lohn aller wird geschmälert um den Pauperismus, den der Kapitalismus immer produziert. Sagen wir ganz brutal: wenigstens Altersarmut. Automatisch: ein Arbeitnehmer ist im Alter nicht reich. Der hat kein Geld, also braucht er Rente; so, jetzt wird aus dem Lohn aller diese Altersarmut bezahlt.

Und dann ist ganz klar: Wenn (und da dürfen wir jetzt einmal das Wort Klasse von Marx benutzen), wenn von der ganzen Klasse, die ja da zur Solidarität gezwungen wird, wenn von der ganzen Klasse bloß noch ein relativ kleinerer Teil selber verdient, dann bricht die Funktionsfähigkeit dieser Institutionen zusammen. Und was wir im Moment erleben sind lauter Reformen der Institutionen, um ihren Zusammenbruch zu verhindern, und den verhindert man dadurch, daß man ihre Leistungen reduziert. Also das Krankenwesen, die Deckelung der ganzen medizinischen Budgets ... Ja, mit der Rente: wir sind mitten in einer Phase, in der die Rente umgestaltet wird von einer Institution, wo der Mensch sagen konnte: „Wenn ich ein Leben lang gearbeitet habe, und reingezahlt habe, dann kriege ich auch eine Rente“ ... und jetzt kriegt man von allen Seiten gesagt: „Leute, wenn ihr im Alter nicht auf eine Grundversorgung reduziert sein wollt: versichert euch privat!“ Die Rente wird so etwas wie das, was die Grünen mal wollten, Grundrente 1000 DM für jeden, und dann wird’s noch nicht einmal für jeden, weil nämlich das Prinzip „man muß es sich erst einmal verdient haben, und wer nicht die dreißig Jahre zusammenbringt, der kann das auch nicht beanspruchen“ ja immer noch herrscht.

Zwischenfrage: wie denn das Thema Kaufkraft damit zusammengeht – Stichwort: Sozialstaat zur Herstellung von Massenkaufkraft – wird die jetzt nicht mehr gebraucht?

Ich meine: das Argument mit der Kaufkraft ist eigentlich, wenn man’s streng nimmt, immer schon ein Irrtum gewesen, eine Gewerkschaftsideologie. Es war ein Argument (ich habe meinen Einstieg doch heute mit den Heucheleien gewählt), so eine Gewerkschaftsheuchelei: „Wir fordern Lohn, und zwar ist es nicht bloß wegen uns, sondern Deutschland braucht unsere Kaufkraft.“ Ja? Es ist: „Wir tun mit der Lohnforderung nicht nur uns etwas Gutes, sondern auch euch Unternehmern. Denn: dann können wir kaufen, und dann könnt ihr wieder verdienen und Gewinne machen, und dann ist alles wunderbar.“

Das ist in einer Hinsicht schon eine verfehlte Rechnung deswegen, weil: wenn erst die Unternehmer das Geld hergeben müssen, damit es dann die Leute haben, damit sie sich dann von den Unternehmern wieder etwas kaufen, damit es sich die Unternehmer dann wieder zurückholen, dann hätten’s die Unternehmer gleich behalten können. Noch anders gesagt: Unternehmer sind Menschen, die Anhänger hoher Löhne sind ... bei allen Unternehmern außer bei sich selbst. Im eigenen Betrieb ist der Lohn eine Kost, die den Gewinn schmälert. Wenn die niedriger ist, ist der Gewinn höher. Für Kaufkraft haben Unternehmer schon etwas übrig, bei allen anderen Unternehmern. Aber bei sich haben sie nichts dafür übrig.

Wenn man das aber verallgemeinert, kommt immer noch kein Interesse an Kaufkraft heraus.

Zwischenfrage: warum denn dann immer geschrieben wird, daß die deutsche Bevölkerung sinkt, das sie aber nicht sinken sollte

Gut, damit verlassen wir jetzt aber das Thema mit Staatschuld und Ökonomie ziemlich, denn das ist ein rassistisches Argument einer Nation und kein Argument zum Thema „wir brauchen Arbeiterschaft“. Das erste, simpelste Gegenargument (übrigens können alle, die es wollen), das ist ein ganz bekanntes Argument, das heißt: „Ja, Mensch, wenn euch Leute für die Fabriken fehlen, laßt die rein, die anklopfen. Es klopfen so viele an.“ Ja, wenn’s drum ginge, Arbeiter zu haben (Arbeiter, das ist der Mensch, der für Geld hingeht und etwas macht), da braucht man nicht aufs Blut achten. Das können andere Nationalitäten auch. Und das haben ja die Türken und die in den ’60ern gekommenen Gastarbeiter alle wunderbar ... solange es um die Rolle ging, ging doch alles prima. Wenn jetzt also zugleich gesagt wird, die Welt sei überbevölkert, und die Deutschen seien zu wenig, ja, wenn meinetwegen gesagt wird: „... und bei uns werden keine geboren, und wenn, dann Türken“, dann sind das Rassisten. Das sind Menschen, die denken eine Staatsfunktion des Bürgers viel radikaler als den Arbeiter. Blutmäßige treue Staatsbürger. Also: die Funktion, für die man solche braucht ... die denken, es ist immer Krieg. Eine Verwendung, die die totale Identität verlangt, die nicht die Treue vermittelt über „du kriegst deinen Job, aber du mußt auch nehmen, was du kriegst; du hast nichts zu verlangen, aber du kannst hier mitarbeiten“ (das ist ja auch eine Form von Loyalität, auch eine Form von Unterordnung, aber die ist noch vermittelt übers Geld und über die Chance) ... und wenn einer sagt: „die geborenen Deutschen fehlen hier“, dann möchte er eine unmittelbare Identität zwischen Staat und seinem Volksmaterial, eine, die nicht über Geld oder Chancen oder Werte vermittelt ist, sondern nur über die gar nicht mehr befragbare, gewissermaßen „natürliche“. Insofern: das sind Volkssubstanzdünkel. Das ist ... Schäuble schreibt so, denkt so.

Also, das fällt nicht mehr in die ökonomischen Fragen. Das fällt in Fragen, wenn eine Nation auf einmal dran denkt, daß ihre lebenden Untertanen ihr letztes, einzig sicheres Selbstbehauptungsmittel sind. Zum Beispiel das Argument: „Und wer bezahlt unsere Renten, wenn wir alle aus lauter Promiskuität und Vermeidung der Elternpflichten kinderlos alt werden?“ Das Argument ist noch eine Vermischung zwischen den beiden, denn die Wahrheit wäre: „Ja, wenn ihr Arbeitsplätze zu bieten hättet ... Arbeiter gibt’s in der Welt genug.“ Der Witz ist doch erst einmal, die erste Wahrheit an dem Ding ist doch: es fehlt doch nicht an jungen Leuten, es fehlt doch an Gelegenheiten, Geld zu verdienen. Das zweite ist: und wenn’s ums Geld ginge, auch Ausländer zahlen in die Rentenkasse wunderbar ein. Also ist es ein versteckter Rassismus, der sich aber in der Form gar nicht so zu erkennen geben will, sondern so quasi materialistisch kalkulierend auftritt. Aber das ist unwahr, an dem hängt’s nicht.

Zwischenbemerkung: beim Sparen handele es sich also doch wohl um einen – im internationalen Kontext – Sachzwang – es gibt also keine Alternative

Ja, also die Alternative. Es ist gut, daß du darauf kommst. Beim Einstieg habe ich mir überlegt, ob ich irgendwann darauf komme, hab’s jetzt aber vergessen. Die Alternative „Sachzwang oder politischer Wille“ ist nicht richtig. Und nicht bloß bei dem Thema, die ist nie richtig. Denn auf der Seite des politischen Willens, wenn man ihn in den Gegensatz zum Sachzwang setzt, steht immer Willkür, also nach dem Muster: „Die könnten doch ohne weiteres nett zu den Leuten sein, aber sie mögen nicht.“ Umgekehrt ist natürlich Sachzwang auch eine Ideologie, denn Sachzwang ist auch keine Wahrheit. Sachzwang sagt: „Es geht nicht um einen Zweck, es geht nicht um ein Ziel, daß man haben kann oder nicht; sondern es ist jenseits aller Fragen, was ich gern möchte, eine Notwendigkeit.“ Das ist natürlich auch nicht wahr. Die Wahrheit heißt schon: wenn man zu den imperialistischen Staaten gehören will, die erst einmal mit ihrem Geld die Welt beherrschen und dann auch noch sonst, wenn man das alles will, wenn man sein Volk für diese Funktion braucht, haben will, es für diese Funktion zurechtmacht, dann ist es geboten, so zu verfahren.

Also, das mit dem Sachzwang ist immer so eine Sache. Verstehst du? Einfache Beispiele, nicht gleich die höchsten Ebenen: du gehst in eine Fabrik und sagst den Arbeitern: „Schaut, jetzt machen sie euch wieder billiger, was sagt ihr dazu?“ Und da sagen sie: „Ja, sie sagen uns dazu, die Japaner wären noch billiger, und es wäre ein Sachzwang zur Erhaltung der Arbeitsplätze.“ Was sagen wir? Wenn wir sagen: „Stimmt, hilft alles nix.“ ... Schlecht, schlecht. So haben wir den möglichen Unmut selber mit beruhigt. Was muß man sagen? Man kann sagen: „Ja, das sagen sie alle wechselseitig.“ Es ist doch der Zwang ihrer Konkurrenz. Weil jeder den Arbeiter so billig haben will, zwingen sie es sich wechselseitig in der Konkurrenz auch noch auf. Dann deuten sie auf den Konkurrenten und sagen: „Ich bin’s nicht, aber der.“ Aber der Konkurrent macht mit demselben Recht das Gegenteil.

Zwischenbemerkung: Und was macht man jetzt damit?, Heiterkeit im Publikum

Ja, ist doch klar. Jede beliebige Opposition, und, irgendwo ... ein paar Arbeiter müssen in jedem Fall dabei sein (bedeutende Heiterkeit), muß zu der Meinung kommen, daß es sich nicht lohnt, daß es sich für sie nicht lohnt, die Erfolgskriterien der Nation, also die Stabilität der D Mark, die guten Außenhandelsbilanzen, die solide Staatswirtschaft, also die solide Haushaltsführung ... daß es sich für sie nicht lohnt, diese Kriterien für sich gelten zu lassen. Daß heißt aber noch lange nichts, dann lassen sie sie für sich halt nicht gelten. Dann müssen sie sie niederkämpfen als die Kriterien, nach denen sich alles richtet.

Und wenn sie das nicht tun, dann wird mit ihnen gemacht, was mit ihnen gemacht wird. Und dann geht halt noch eine Generation dahin. Kann man übrigens ohne weiteres machen, haben schon viele Generationen gemacht. Geboren, in die Schule gegangen, mit 14 in die Arbeit, mit 19 geheiratet ... und jeder andere übrigens, jeder Studierte, sagt: und dann war das Leben vorbei. Ja, klar, dann ist das Leben halt vorbei, müssen sie noch vierzig Jahre arbeiten, und dann sind sie krank, wenn sie in die Rente gehen.

Entweder es wird eingesehen, daß das kein Weg ist, und dann erst bringt man auch die willensmäßige Rücksichtslosigkeit gegen die „Sachzwänge“ auf. Oder aber man hält fest, und das ist im Kern immer das, man hält fest daran, daß Deutschland doch für mich da ist und ich für Deutschland da bin, daß es also eigentlich zusammengehen muß. Und dann wird jedes erlebte Nichtzusammengehen (und erlebt wird’s massig) erlebt als: „Dann muß es um Deutschland schlimm bestellt sein, wenn’s mir so schlecht geht.“ Versteht ihr? Die Gewerkschaften haben vor einigen Jahren das Argument gemacht (da war erst eine Krise, da sind die Arbeitslosenzahlen hoch gegangen, dann ist wieder Konjunktur gewesen), da haben die Gewerkschaften gesagt: „Solange die Arbeitslosenzahlen so hoch sind, kann das unmöglich Konjunktur sein.“ Das war so ein Argument. Die haben eigentlich nur mit ihrem Glauben, daß Deutschland und das Wohl der Arbeiterschaft doch nicht in einen totalen Gegensatz geraten können, die haben nur mit ihrem Glauben gegen den erlebten Gegensatz argumentiert. Ja, wenn sie den Fehler machen, sind sie schwach. Wenn sie zu dem Schluß kommen, das nützt nichts für sie, sind sie sofort stark, denn wehren kann sich gegen sie sowieso niemand. Ja, das ist wirklich das Komische, es ist: soviel Freiheit herrscht, daß, wenn man glaubt (also nicht „man“, Millionen müssen’s sein), wenn man glaubt, so oder so ähnlich muß es gehen, dann ist man unfähig, sich zu wehren, weil man fürchtet, man zerstört etwas, wovon man abhängt. Das kennt ja jeder: „man darf die Kuh nicht schlachten, die man melken will“ und so Zeug. Nur, wenn man zu dem Schluß kommt, daß der ganze Zirkus einem falschen Zweck dient, dann ist die Radikalität kein Problem, und dann ist die Macht auch kein Problem, so etwas zu brechen.

Insofern ist, so trostlos das ist, so etwas wie ein Vortrag der Art und andere Versuche mit der Intention, an den erlebten Enttäuschungen (meinetwegen jetzt der ganz bescheidenen: die Studenten fragen sich mit einem gewissen Recht, warum im dem reichen Land es eigentlich nicht möglich sein soll, daß die Bibliothek Bücher vorrätig hält) ... wenn man sagt: „da hat der Minister was verschlafen“, dann wird nie etwas daraus. Dann muß man halt, wenn man den Grund sagen kann (und ich habe ihn jetzt wirklich mit einem Riesen-Sandwich ausgeführt, ja, vorn die Studenten, hinten die Studenten, und dazwischen die ganze Nationalökonomie, ich habe einen Riesen-Sandwich, also, oben das eine, unten das andere, und in der Mitte noch was ganz anderes, hergestellt), wenn du es darauf zurückführen kannst, ja dann ist das ein Beitrag zu: „Leute, wir spielen bei einem falschen Spiel mit, wir sind in einem Zirkus befangen, wir sind auf Sachen verwiesen und verpflichtet, die tun uns allen nicht gut, und die müßten nicht sein.“ Wenn’s eingesehen wird ... (Heiterkeit)

Übrigens, wenn’s nicht eingesehen wird ... ja, mir ist’s auch Wurst, die Leute tun sich das doch an, die Leute müssen’s doch ausbaden, ich doch nicht. Über kurz oder lang vielleicht sogar ich. Dann hab ich Pech gehabt. (noch mehr Heiterkeit; was gibt’s da eigentlich zu lachen? der Abtipper)

Zwischenbemerkung: es ginge doch nicht nur ums Sparen bei der Ganzen Sache, sondern auch darum, die Struktur der Universität zu ändern

Gut, dann suche doch mal nach einer Bestimmung: was zu machen. Also: Strukturen der Universität, Strukturen der Ausbildung verändern von wo nach wohin.

Antwort: z. B. Marktgesetze auf die Universitäten wirken zu lassen, z. B. über Globalhaushalte

Ach, ja, ja, daß der Kanzler der Universität selber so ein Profit-Center-Typ werden soll.

Erwiderung: Ja, genau, natürlich.

Ja, ja, klar, also gut: formell ist es wie: man privatisiert es. Ja? Es bleibt natürlich eine Staatsfunktion, es bleibt die Quelle, die Finanzquelle eine staatliche. Aber der soll mit dem ganzen Geld selber betriebswirtschaftlich haushalten und nicht nach genehmigten Ausgabeposten das Geld verteilen. Und dann soll irgendwie der Universität ein Vorteil versprochen werden, wenn sie da Einspareffekte schafft. Ja, klar, na ja, das ist halt ... Ja, das ist halt so ein Ding. So macht man’s billiger. Zehn Jahre später muß der erste darauf kommen zu sagen: „Ja und, auf welche Funktionen achten sie überhaupt noch, wenn sie bloß noch auf ihre positive Bilanz achten?“ Also, sowas muß immer hin und her gehen ... Klar, im Moment gibt’s eine totale Kritik an praktisch allen verwaltungsmäßigen Ausgabeposten im Land, allen, die Krankenhäuser sollen profizienter werden, alles.

Ja, was ist es? Es ist ihnen zu teuer, das ist wirklich ... Diese Ausgaben sind zu teuer, jetzt sagt man: „Wir wollen das Sparen nicht verordnen, sondern wir wollen’s euch übertragen.“ Die nächste Frage muß heißen: „Tun sie’s dann eigentlich in unserem Sinn?“ Muß, bei Gelegenheit gibt’s dann die Gegenreform: „Sie tun’s doch nicht in unserem Sinn.“

Betriebswirtschaft funktioniert so. Die delegiert immer ein Interesse, daß der Untere gar nicht hat, an ihn, macht ihn zum Funktionär davon. Deswegen gibt es dann Institutionen des Mißtrauens. Wenn man andere Sachen nimmt (die gehören jetzt nicht direkt dazu): in der Betriebswirtschaft gibt’s richtig Moden. Im Moment ist die Mode: Managementhierarchien abbauen, weniger davon. Also immer gleich: der möglichst niedrige Chef soll möglichst weitreichende Entscheidungsbefugnisse haben. Na ja, gut, das spart ein paar Ebenen. Man fragt sich rückwärts: „Warum haben sie denn das nicht gestern schon gemerkt?“ (Heiterkeit) Ja, wenn’s so einfach ist ... einfach Ebenen sparen ... soll man sie doch gleich alle weglassen. Bei nächster Gelegenheit kommt das Gegenargument: „Ja, ja, und dann macht der eine etwas falsch, und es ist gleich wunder wie weitreichend, weil keine Kontrollinstanzen mehr da sind.“ Das muß kommen, das ist todsicher, (Heiterkeit) das gehört zu dem Fach dazu. Alle paar Jahre geht das nach der einen oder der anderen Seite.

Gut, und mit der Uni, na ja, das sind die Globalhaushalte, das ist das eine. Das zweite: na ja, es gibt natürlich immer wieder Versuche der Verschulung. Da haben sie aber, scheint mir (also das Studium zu beschleunigen, es darüber zu verbilligen), da scheint mir aber, sie haben den Kampf mit der Universität, mit der alten, eigentlich aufgegeben. Das gibt’s also wirklich, solange ich Studentenpolitik ... seit ich’s mache, seit ich’s im Auge habe, und das sind zwanzig Jahr, gibt’s einen Trend zu: das Studium mehr reglementieren, und letzten Endes verfolgen sie’s nicht furchtbar konsequent. Es gibt eine Verfolgung, die funktioniert aber vollkommen anders. Nämlich finanziell die alten Universitäten halbwegs im Regen stehen zu lassen oder an den Rand zu drängen, und die Fachhochschulen auszubauen. Da kämpfen sie dann nicht mit diesem akademischen Selbstverständnis der Geistestempel, sondern da richten sie sich dann gleich die Schulen ein, wie sie wollen, und berufen die Leute hin. Und Jahr um Jahr wächst der Prozentsatz der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten.

Also: wenn eine funktionierende Verschulung stattfindet, dann ist es der Austausch der Institution gegen die andere. An der Uni selber ... ich habe den Eindruck, da ist ihnen dieses akademische Freiheitszeug, daß sie nicht einfach düpieren wollen von oben, das ist ihnen so viel wert. Ich kann mir’s auch nicht erklären. (Heiterkeit) Oder, es gibt die andere Seite. Es gibt die andere Seite, natürlich (aber an der Trennung wird ja gearbeitet): die Freiheit des Forschens, die Freiheit des Lernens, muß zumindest für die Edelwissenschaftler, die, die dann die Wissenschaft tragen sollen, mindestens für die muß die gewährleistet sein. Also, das will man nicht verlieren. Ja, gut, und jetzt hat man halt mit der Massenuniversität die Kombination: es gibt viele, die sind dafür gar nicht vorgesehen, aber die dürfen das jetzt erst einmal auch ... Man will’s trennen, aber in der Trennung ist man noch nicht sehr weit gekommen.

Übrigens: bisher habe ich nur Formen von Verbilligung entdeckt. Also: all diese Sachen fügen sich mir in: für diesen Sektor, meint man, gibt man nicht mehr so viel Geld aus, weil eine Umstrukturierung (also nicht Sparen, nicht: man verzichtet aufs Geldausgeben), weil eine Umstrukturierung staatlicher Prioritäten stattfindet. Ich glaube, die fügen sich auch alle ins Bild, diese Unireformideen.

Zwischenbemerkung: Ob das Ziel nicht vielmehr das folgende sei: Unis sollen den Verkauf ihrer Ware Wissenschaft selbst organisieren.

Sie sollen selber schauen, wo sie ihre Mittel herkriegen, und da gibt’s dann schon die Interessenten an ihren Ergebnissen.

Zwischenbemerkung zum ständischen, auf die Standortdebatte aufspringenden Protest, wie ihn z. B. der RCDS betreibt)

Zwischenbemerkung: ob nicht zum Beispiel über das Mittel Evaluation noch etwas qualitativ vom Sparen unterschiedenes geschafft werden soll, nämlich ein Bewußtseinsveränderung – die Leute sollen sich an Zahlen und Kennziffern orientieren, sie sollen stromlinienförmiger werden

Ja, da mußt du schon ziemlich stark ändern. Verstehst du? Denn: welche Sorte protestierenden Verhaltens soll denn dadurch niedergemacht werden? Welche Sorte abweichenden Studierens soll den da unterbunden werden? Wenn’s so wär, nicht, wenn’s so wär, wenn Massen Studenten sich weigern würden ... oder, „sich weigern“ ... nebenher diese Anforderungen erfüllen würden, aber in Wahrheit in den Seminaren immer gegen die Wissenschaft diskutieren würden und ihre abweichende Meinung zur Geltung brächten, die Wissenschaft in Grund und Boden kritisieren und dann als falschgebildete rauskommen, ja, dann könnt’ ich mir vorstellen, daß da auf Stromlinienförmigkeit geachtet wird. Aber: du kannst doch nicht im Ernst behaupten, die Stromlinienförmigkeit des deutschen Studenten müßte erst noch durch Reformen hergestellt werden. (Bedeutende Heiterkeit)

Die Leute gehen an die Uni ... übrigens, das ist auch in unseren späten Jahren das Schlimme gewesen. In der frühen Zeit, als wir an der Universität Politik gemacht haben, da war es so, daß die Studenten ... ach, daß man irgendwie an die Wissenschaft geglaubt hat. Man hat das für etwas gehalten. Und deswegen hat man es sich zur eigenen Meinung gemacht und vertreten; und dann konnte man schön streiten, da hat der eine die gehabt und der andere jene, und dann war es so: dann war ein Streit um die Sache möglich.

Heute ist die Universität für die allerallermeisten Studenten ein Ausbildungsbetrieb; die müssen eine Theorie lernen, die halten die, ohne sie zu durchschauen, für blöd. Die glauben nicht groß, daß sie sich mit dieser Theorie in der Welt irgendwas erklären. Aber sie wissen, die wird verlangt, dann lernt man sie, dann zitiert man sie, dann schreibt man sie woanders ab und vermischt sie mit Material oder anderen Zitaten, was halt so die wissenschaftlichen Aufgaben sind; gehen raus aus dem Ganzen, behaupten von sich, sie hätten sich sowieso nicht indoktrinieren lassen, und haben im Grunde das Zeug absolut unkritisch gelernt und wissen auch gar nicht was anderes. Es ist ja bloß eine Attitüde zu sagen, sie würden das nicht glauben. Was anderes glauben sie auch nicht, die wissen ja auch gar nichts anderes. Was haben sie gelernt? In Soziologie: die Rolle, der Mensch bewegt sich immer in einer Rolle, und manchmal in vielen, und manchmal gibt’s Konflikte dabei; sowas lernt man da halt. Ja, und (Heiterkeit) Ja, und so weiter und so weiter. (Anhaltende Heiterkeit)

Also, ich will sagen: das Harte an der Universität ist, daß es das Ethos der Wissenschaft (also das Ethos, daß man sich viel drauf einbildet, daß man’s für was hält), daß es das gar nicht gibt. Und deswegen sind die so unangreifbar. Die wickeln’s ab und sagen: „Ja, ja, das muß man wissen, weil man das Examen macht“ ... Wenn jemand eine falsche Meinung hat und an sie glaubt, dann ist er intellektuell angreifbar. Aber wenn jemand sagt, er lernt sowieso bloß Meinungen anderer, und daß macht er bloß, weil man es muß ... Der hält dich für einen Irren, wenn du ihm sagst: „Aber das stimmt doch gar nicht!“ Der sagt, ja, er hat’s ja auch gar nicht behauptet. (Heiterkeit)

Wie gesagt, deswegen: ich glaube nicht an diese Disziplinierungsüberlegungen.

Und ansonsten fallen die Sachen, die du erwähnst, also Evaluierung, die fallen in das ähnliche wie (fiktiv): die Uni zu einem Profit-Center zu machen, ist an der Stelle: auf die Uni Betriebswirtschaftkategorien anwenden. Input-Output-Vergleich. Natürlich hat Input und Output überhaupt nichts miteinander zu tun. Also: Input sind hundert Millionen, Output sind soundsoviel Examinierte. Wie vergleicht man das? Natürlich, man vergleicht’s gar nicht. Man vergleicht’s mit anderen Unis, die auch ihren Input und Output haben (Heiterkeit), kommt dann zum Resultat, manchmal schaut er besser aus, manchmal schlechter (anhaltende Heiterkeit), dann kommt man aufs nächste Problem ...

(Ende der Kassettenseite)

... auf die das Rechnen einfach nicht paßt, trotzdem so einen Standpunkt einführen kann. Das ging schon früher los. Die BWL hat die Abteilungen „Militärökonomie“. Na, da wird natürlich überhaupt nichts verdient, aber warum soll man nicht auch den Output an Sicherheit mit dem Input an Geld und Soldaten und Zeit vergleichen (Heiterkeit). Da machen sie halt das, und da kommen sie dazu, tja, Optimierungsstrategien.

(Organisatoren fragen nach weiteren Fragen, erfolglos)

Applaus. Ende.