Freerk Huisken

Neuer Bildungsnotstand

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1a. Es gab vor ca. 30 Jahren (1964: Picht) einen ersten Bildungsnotstand in Deutschland, gar Katastrophe genannt. Der wurde ausgerufen, weil die Zahl der Abiturienten - die als Indikator für das "geistige Potential" eines Landes galt - unhaltbar niedrig erschien. Doch gemessen woran war sie den Bildungspolitikern zu niedrig? Hatten sie das Ideal, jeden zum Abitur zu führen? Mitnichten. Sie hatten keinen absoluten Maßstab, sondern nur einen Vergleichsmaßstab: Im Vergleich zu den konkurrierenden europäischen und außereuropäischen Staaten sollten es zuwenig Abiturienten sein. Dieser Maßstab ließ schon damals nichts zu wünschen übrig: Nicht das Anliegen einer "allgemeinen und umfassenden Bildung der Jugend", gar "Erfüllung ihrer Bildungsinteressen" trieb diese Kassandras, sondern die Angst, daß Deutschland in der Konkurrenz der "führenden Wirtschaftsnationen der Welt" nicht den ihm gebührenden Spitzenplatz einnehmen würde. Vermehrte Bildungsanstrengungen um den deutschen Nachwuchs als Instrument für den Erfolg in der Konkurrenz der Westmächte einsetzen zu können, das war ihr Anliegen. Bildung als Instrument der Staatenkonkurrenz, in der es um wenige lustige Dinge geht. Da geht es um Fragen wie: Welcher Staat ist so reich und mächtig, daß er fremdes Land und fremde Leute, also Rohstoffe, Arbeitskräfte, Märkte anderer Staaten für die eigenen Ziele benutzen kann? Wer gehört zu den Benutzern und wer gehört zu den Benutzten? Wer muß sich das gefallen lassen? Wer kann etwas dagegen unternehmen und mit welchen Mitteln? Und für dieses Anliegen fand man dann schöne Worte, die sogar selbstkritische Untertöne besaßen: Man hätte es versäumt, die Begabungsreserven zu heben, hätte sich am Prinzip der Chancengleichheit und dem der Förderung der Individualität vergangen... usw. Man schritt zur Tat, verfügte einige leichte Änderungen des Bildungswesen, korrigierte insbesondere die Übergangsquoten zwischen VS und Gymnasium, damit auch wirklich mehr junge Deutsche das Abitur machte, machte Bildungswerbung ... und siehe da: die Zahl der Abiturienten wuchs (von z.T. unter 10% auf z.T. 50% eines Jahrgangs). 1b. Inzwischen soll das deutsche Bildungswesen gerade unter dem Erfolg eben dieser Bildungsoffensive so fürchterlich leiden, so daß in Kreisen der Bildungspolitik glatt die zweite Bildungskatastrophe der Nachkriegszeit ausgerufen wird. Jetzt soll es viel zuviel Abiturienten geben, lautet die Klage! Wie das? Kann es denn davon je zuviel geben? Ist die Klage über ein Zuviel an Bildung nicht ein Widerspruch in sich? Haben wir nicht gelernt, daß Bildung zu den höchsten Gütern einer Nation zählt, die so geschätzt sind, daß es für sie nach oben gar keine Grenze gibt? Und selbst wenn man den Maßstab der 1. Bildungskatastrophe anlegen würde, "das geistige Potential der Nation" sei zur Hebung der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands zu vergrößern, müßte sich diese neue Beschwerde ebenfalls von selbst blamieren: Von einem "geistigen Potential", mit dem die Konkurrenzfähigkeit D´s gestärkt werden soll, dürfte es doch gleichfalls nie zuviel geben können. Wie man es dreht und wendet: Nimmt man als Beurteilungsmaßstab die gängigen schönen Reden über Bildung oder nimmt man das staatsmaterialistische Konkurrenzanliegen, der neue "Bildungsnotstand" scheint unverständlich zu sein. (vgl. F. Huisken, Weder für die Schule noch für´s Leben, Hamburg 1992, S.266ff) Obendrein ist der Maßstab, der dabei heute an Bildungspolitik angelegt wird, der alte geblieben: Auch heute geht es den Bildungspolitikern um die nationale Konkurrenzfähigkeit, was die Klärung dieses Sachverhalts nicht gerade einfacher macht. 2a. Schaut man genauer hin, dann stellt man jedoch fest, daß inzwischen andere Indikatoren für die Messung der nationalen Konkurrenzfähigkeit wichtig geworden sind. Die Abiturienten-Quote hat ausgedient. Jetzt wird nach DM-Stärke, Standortvorteilen usw. gemessen. Und das liegt daran, daß sich in mehrfacher Hinsicht die Konkurrenzlage D´s geändert hat. - Erstens: Die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands ist hergestellt. Wir haben inzwischen die zweifelhafte Ehre, Bürger eines Staatswesen zu sein, das vielen anderen Staaten auf der ganzen Welt seine Interessen vorschreiben kann, das andere Länder mit hergestellten ökon. Abhängigkeiten erpressen und sie mit polit. und militär. Mitteln zur Loyalität zwingen kann. (Vgl. Flüchtlingsabschiebung, Asylgesetze etc.) Und dies ist, nebenbei gesagt, nicht das Produkt der Masse deutscher Abiturienten, die zwischen 1965 und 1990 studiert haben und nun ihrem Beruf nachgehen. D. gehört also in Europa und darüber hinaus inzwischen zu den führenden Weltmächten (G7); was offenbar den Führern der Nation noch nicht reicht. Sie haben sich nämlich nach der Abdankung der SU vorgenommen, mittels des wiedervereinigten D. und mittels eines deutsch geführten Europa, auch der verbliebenen Weltmacht Nr. 1, den USA, zumindest ökonomisch Konkurrenz zu machen. Was hat sich noch geändert? - Zweitens stellt sich seit kurzer Zeit heraus, daß die Konkurrenz schärfer geworden ist, was sich in einer veritablen weltweiten Absatz- und in einer europäischen Währungskrise äußert. Von der ist D. natürlich als eine der führenden Wirtschaftsmächten betroffen. Aber zugleich will die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik diese Krise nicht so einfach hinnehmen, sondern dafür sorgen, daß deren Auswirkungen - Geschäftsniedergänge, also Kapitalentwertung, Arbeitslosigkeit, Schuldenentwertung, Währungsturbulenzen - möglichst die anderen Nationen treffen. b. Wie will D. das bewerkstelligen? Das deutsche Mittel für das nationale Ziel, trotz der allgemeinen Krise des Weltmarkts an den gehobenen deutschen Weltmachtkonkurrenzanliegen festzuhalten. heißt "Standortsicherung". Darunter ist im Kern nichts anderes zu verstehen, als die gebündelten Anstrengungen deutscher Politik auf dem deutschen Territorium durch die Verbilligung aller direkten und indirekten Produktionskosten (Lohn, Lohnnebenkosten, Steuern, Umweltauflagen etc.) für die kap. Unternehmen, dafür zu sorgen, daß die Schrumpfung von Kapitalwachstum im Ausland und nicht im Inland geschieht; daß jedes Kapital, das sich angelegt hat oder noch anlegen will, Deutschland als seinen Standort wählt, daß also alle deutschen Einkommensbezieher dann den neuen Stand ihrer nationalen Verarmung in einer international gestärkten Währung nachzählen können. Das Programm folgt einer ziemlich verrückten staatlichen Diagnose, die dem Unfug mit der "Produktivkraft Abitur" ("Humankapital") kaum nachsteht (s.u. Pkt. 7). Sie heißt, die Staatsquote, also der Anteil des Staatshaushalts am BSP (ca. 50% inzwischen) sei zu hoch, und müsse dringend gesenkt werden. An dieser Staatsquote lesen die Wirtschaftspolitiker etwas Doppeltes ab: - Erstens, daß sie das deutsche Volk, vor allem durch den Sozialstaat, aber auch durch sein Bildungs- und Gesundheitswesen, fürchterlich verwöhnt und dadurch dem Kapital Lohn- und Lohnnebenkosten aufgebürdet hätten, die die deutsche Exportweltmeisterschaft gefährden würden. Kostensenkung und sonstige Verbilligung der Einkommen der abhängig Arbeitenden schaffe Wachstum, meinen sie. - Zweitens, daß der Staat viel zuviel Leistungen an sich gerissen habe (Bahn, Post, Müll, Umwelt, Energie und partiell Bildung...), die vom privaten Kapital genauso gut als Geschäft, d.h. nach dem Prinzip der Gewinnerwirtschaftung, erledigt werden könnten. Privatisierung schafft Wachstum, meinen sie. 3. Aus diesem Standortsicherungsprogramm (vgl. dazu GegenStandpunkt 3/93) wird von den Wirtschafts- und Bildungspolitikern sehr absichtsvoll gefolgert, was die Studenten "Deform" nennen. Es wird dem Bildungswesen im Allgemeinen und den HSen im Besonderen der Vorwurf gemacht, es sei zu teuer. Es hätte selbst dazu beigetragen, daß das Wachstum auf deutschem Kapitalstandort schwer zu wünschen übrig lasse; nicht durch zuwenig HS-Absolventen, nicht durch Mängel in der wiss. Bildung, sondern dadurch, daß dieser Bereich einfach zu "aufgebläht" sei und im gesamten Staatshaushalt einen überproportionalen Platz einnehme. Es wird für zu kostspielig befunden. Die Diagnose, das HSwesen koste die Gesellschaft zuviel und trage so zu Wachstumverlusten bei, enthält im Einzelnen drei Abteilungen: - Erstens. Es würde zu lange studiert und zu kurz gearbeitet. Auch die Schüler seien Bummelanten, da ein Abitur glatt in 12 Jahren zu schaffen sei. (Entgangener Reichtum) - Zweitens: Es würde "am Markt vorbei"-studiert. Wenn Lehrer und Sozialwirte als Taxifahrer arbeiten müßten, was sie nach 10-jähriger VS-Bildung auch geschafft hätten, dann sei das eine Verschleuderung von Reichtum; außerdem belaste das den Sozialstaat unerträglich durch die Betreuung von Arbeitslosen mit Geld und Umschulungsmaßnahmen; schließlich gäbe es - welch Skandal - inzwischen mehr Studenten als Lehrlinge; was nicht ginge, weil - wie der Kanzler Kohl sagt - "die Zukunft der Industriegesellschaft allein mit Akademikern nicht zu sichern ist" (Vgl. Huisken, S.288). Auch die Studienabbrecher fallen in diese Abteilung. Und das Urteil, es gäbe immer noch Studiengänge, für die es keinen gesell. Bedarf gäbe, die sich einfach - welch Skandal - über das Interesse von Studenten und Wissenschaftlern begründen würden. (Fehlinvestiert, in Falsches und Falsche investiert) - Drittens würde massenhaft Geld verschwendet durch fehlende Effektivität von Lehre und Studium, durch den Luxus des unentgeltlichen Studiums usw...(Zu viel investiert, für Richtiges zu viel ausgeben) 4a. Diese Urteile über Bildung, Studium und Studenten haben es in sich. Sie sind alles andere als "menschenfreundlich": Sie dokumentieren, daß Bildung hierzulande als abhängige Variable der Kosten, die sie verursachen, betrachtet und behandelt wird; nicht etwa umgekehrt die Kosten als abhängige Größe der Bildungsinteressen der Auszubildenden. Dabei - und dies ist wichtig - gründet sich diese Betrachtungsweise gar nicht aus einem absoluten Geldmangel der Bundes- und Landeshaushalte: Die jährliche Neuverschuldung (für 1994 sind wieder 70 Mrd. veranschlagt) übersteigt bekanntlich alles Dagewesene. Und die Mrd. DM für die Treuhand, die Kapitalanlegern die Übernahme von alten DDR-Betrieben schmackhaft machen sollen, sind im Haushalt ebenso unstrittig wie die Mrd. zur Umrüstung der Bundeswehr für ihre neuen Aufgaben ("Schnelle Eingreiftruppe) oder die Mrd. für die Infrastruktur in der Ex-DDR, die ebenfalls nur die Aufgabe haben, den Kapitalstandort "fünf neue Bundesländer" attraktiv zu machen. Der Maßstab resultiert also nicht aus einem absolute Geldmangel, sondern vielmehr aus einer funktionellen Betrachtung der Kosten, die nach nützlichen und unnützen Kosten geschieden werden: - Als gesellschaftlich unnütz gelten den Politikern Kosten, die sich in - angeblich - überhöhten Personalkosten für wiss. ausgebildetes Personal von Betrieben und Staat niederschlagen. - Gesellschaftlich unnütz sind in diesem Konzept Kosten für eine wiss. Ausbildung, die dann wegen frühzeitigem Abbruch oder mangels Nachfrage nicht zum berufl. Einsatz kommt; oder die nicht solange zum Einsatz kommt, wie das für wünschenswert gehalten wird. - Als gesellschaftlich unnütz gelten Kosten für Leistungen, die man auch billiger meint bekommen zu können, wenn man gegen "Bummelanten" vorgeht oder die Privilegierten stärker an den Kosten beteiligt usw. Dies ist ein Standpunkt der absolut gleichgültig ist gegenüber jedem privaten Bildungsinteresse und Bildungsweg; der gleichgültig ist gegenüber der Frage, was Bildung für diejenigen bedeutet, die sie sich aneignen (wollen und/oder müssen); der gleichgültig gegenüber der Frage ist, wie eigentlich ein Einkommen beschaffen sein muß, mit dem sich der Mensch seine Lebensbedürfnisse erfüllen kann usw. All dies zählt nicht bzw. nur als abhängige Variable dieses funktionellen, auf Standortkonkurrenz bezogenen Kostengesichtspunkts. b. Festzuhalten ist nebenbei: Alle schönen Reden von damals erweisen sich jetzt als bloß konjunkturgemäße Phrasen: Begabungsreserven haben, das ist vorbei. Jetzt heißt es, die Reserven seien ausgeschöpft und mehr Anstrengungen in dieser Richtung würden die deutsche Elite, die es für Führungsaufgaben und Wissenschaftsprogreß brauche, "versauen". Die Chancengleichheit hat auch ausgedient und wird neu definiert: Gleichheit müsse jetzt bei der Lebensarbeitszeit hergestellt werden. Und vermehrte Chancen seien gerade denen zu gewähren, die die Gesellschaft nicht mit überlanger "Bildungszeit" auf den Geldsack gehen. ("Herstellung der Gleichwertigkeit von berufl. und allg. Bildung", heißt das im Rexrodt-Papier, S.55) 5. Was folgt daraus im Einzelnen für die Reform des Bildungswesen? Den drei Beschwerden lassen sich die bekannten vorgeschlagenen Maßnahmen zuordnen: a. Kürzer studieren und früher anfangen, Regelstudienzeit verkürzen und zur Pflichtstudienzeit machen. Überschreitung ist mit erstem Prüfungsdurchfall identisch. Später Zwangsexmatrikulation. b. Der Zugang zum Studium wird erschwert und es selber in ein Kurz- bzw. FHS-Studium für das Heer von wissenschaftlich qualifizierten Dienstleistern beim Staat und im privatem Gewerbe und in einem Langstudium für echte Führungspersonen und Nobelpreisträger sortiert. Zulassung zum Studium wird stärker gesteuert, weniger Abiturienten, mehr VS- und RS-Absolventen mit berufl. Ausbildung. Der VS- und Realschulabschluß soll aufgewertet werden. Abschaffen oder Abspecken von Studiengängen, die neben dem Markt liegen. Enger Kontakt mit den Abnehmern ist zu halten, das spart beiden Seiten Kosten und entlastet den Markt. Andererseits soll das Angebot an studierten - kurzstudierten - Arbeitskräften dadurch verbilligt werden. Der Vergleichsmaßstab ist für diese Masse der Studenten dann nicht mehr der Dr.med. oder der Oberregierungsrat, sondern der VS-Absolvent, der über das berufliche Schulwesen qualifiziert, nicht mehr am Taxistand, sondern im Personalbüro der Konkurrent ist. Die Verbilligung wird mit Sicherheit durch die jeweilige Lage auf dem Arbeitsmarkt noch schöne Impulse bekommen. c. Studiengebühren wegen Kostenersparnis und als sozialer NC; Effektivierungsmaßnahmen in der Lehre (L-S-Relationen, Aufstockung des Mittelbaus, Lehr- und Forschungsprofs., Deputatanhebung für Lehrprofs,...) Beide Seiten des Sparens, die fälschlicherweise den Staat als Subjekt und Objekt des Sparens betonen, treffen den zur Bildung im Staatsschulwesen verpflichteten Nachwuchs: An ihm, an den Bildungsleistungen für ihn und am Einkommen, das er nach dem Bildungsgang erwarten kann, wird gespart. Der Spruch: "Mein Kind soll es einmal besser haben!", nach 1964 ein Hit derjenigen, die es nach und wegen ihrer Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt schlecht getroffen hatten, gilt für jetzige Elterngenerationen nicht mehr. Es empfiehlt sich seine Ersetzung durch die folgende zeitgemäße Verpflichtung: "Mit meinem Kind soll es das Wachstum der Nation einmal besser haben!" 6. All das wird zur Zeit in die Wege geleitet: Bei der Senkung der Lohn- und Lohnnebenkosten, beim Abbau von Sozialleistungen, der Erhöhung von Steuern auf konsumtive Einkommen und bei der Verteuerung staatlicher Dienstleistungen legen Rexrodt, Kohl und Waigel ein abenteuerliches Tempo vor. Die Reform des Bildungswesen läßt sich etwas Zeit. Nicht etwa, weil die Studenten so heftigen Widerstand leisten würden, sondern weil ein konkurrierender Staatsgesichtspunkt selbst die Durchsetzung des Kostensparprogramms verzögert. Ganz hat man sich nämlich noch nicht verabschiedet von der konträren Auffassung, daß das "Humankapital" schwer für Wachstum sorgen könne. So will man denn auch den "Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland" fördern und ringt noch schwer mit folgender Frage: Soll dies gleich als Finanzspritze für das Kapital laufen, das dann mit staatlicher Unterstützung "marktorientiert" forschen kann. Oder braucht es in Deutschland die Pflege der "Grundlagenforschung", die deswegen so heißt, weil deren Resultate sich nicht unmittelbar geschäftsmäßig verwerten lassen. Deren Kosten dürfen dann nicht dem Kapital aufgebürdet werden, sondern müssen beim Staat, also im Bildungs- bzw. Wissenschaftsbetrieb bleiben. Dafür braucht´s dann auch einen breiten Unterbau an Allgemeinbildung, in dem sich der echte Wissenschaftsnachwuchs herausbildet, der aber dann auch nicht unter den Druck des schnellen, marktorientierten Abschlusses gesetzt werden darf. Hier streiten sich die verschiedenen Seiten derselben Medaille: An den Leuten, ihrer Bildung und dem, was sie damit verdienen, sparen, ist ein Gesichtspunkt, der erst einmal rücksichtslos gegenüber dem anderen staatlichen Interesse an der Wissenschaft und Technologie als allgemeiner Produktionsbedingung des Kapitals vorgeht. 7. Über die ökon. Effektivität dieser HS-Reform machen sich die Politiker einen blauen Dunst vor: a. Weder schafft Verbilligung des Bildungswesen Wachstum, noch garantiert die staatliche Förderung dieser Sphäre den Kapitalaufschwung. Nicht nur ist beides eine Frage der Konkurrenz, also der Frage, inwieweit die internationale Konkurrenz nicht dieselben Programme auflegt und jeden Vorsprung damit konterkariert. Obendrein gibt es den behaupteten unmittelbaren Zusammenhang zwischen Bildung und Wachstum gar nicht. Es liegt hier eine haarsträubende Verwechslung von Bedingung und Grund vor. Wir haben es hierzulande nämlich nicht mit irgendeiner Wirtschaft, sondern mit einer kapitalistischen Wirtschaft zu tun. Und die hat ihre eigenen Gesetze: Wenn z.B. der Lohn einer ausgebildeten Arbeitskraft sinkt - und darauf ist eine der Anstrengungen gerichtet - dann wird die zwar billiger, aber damit noch längst nicht rentabel. Das Kriterium ´Rentabilität´ mißt Kosten am zu erwartenden Überschuß, nicht aber am Preis, der für dieselbe Arbeitskraft vor einem Jahr gezahlt werden mußte. Weswegen eben alle auch nicht dann eingestellt werden, wenn sie billiger gemacht worden sind. Das Kapital will die Lohnkosten der Arbeitskräfte, die es einsetzen will, senken; nicht aber umgekehrt Arbeitskräfte einstellen, weil sie verbilligt worden sind. Das hängt damit zusammen, daß der erwartete Überschuß zwei Seiten hat: die der Produktion des Kapitalüberschusses und die des Verkaufs des produzierten Kapitalüberschusses. Zum Verkauf braucht es eine Nachfrage, die sich nicht im Bedürfnis nach Gütern erschöpfen darf, sondern über Zahlungskraft verfügen muß. Die ist in der Krise ersten knapp und wird zweitens durch das brutale staatliche Verbilligungsprogramm bei den Konsumenten noch knapper gemacht. Bei den Investoren ist es das ohnehin anders. Denen fehlt es nicht notwendigerweise an Geld, wenn sie nicht kaufen, sondern an der Überzeugung, mit Investitionen kein Geschäft machen zu können. Deswegen legen sie ihren Geldüberschuß dann - wie zur Zeit zu beobachten ist - im Geldgeschäft an. Verbilligung jedweder Kosten freut zwar die Unternehmer. Sie stellt eine günstige Bedingung für Investitionen dar, ist aber nicht der Grund dafür. b. Das Studium an der Nachfrage (NF) zu orientieren ist ein Unterfangen, daß sich regelmäßig an der Konkurrenz der Nachfragenden bricht. Die sorgt dafür, daß sich die NF zu Studienbeginn von der zu Studienende ziemlich unterscheidet. Und zwar nach zwei Seiten: Da Konkurrenz einerseits heißt, dem Konkurrenten den Markt wegnehmen, was von regelmäßiger Umwälzung der Produktion begleitet ist (Rationalisierung), ändert sich eben die NF nach ausgebildeten AK nach Qualität (Umgestaltung der Produktion) und nach Quantität. Letztere hängt nicht nur an der Produktionsumgestaltung, sondern auch an den Konkurrenzresultaten: sind Konkurrenten erledigt, dann sinkt die Nachfrage. Ganz abgesehen davon, daß gerade ein Resultat dieser Konkurrenz die allg. Überakkumulation ist, d.h. Krise, die in allgemein sinkender NF besteht. 8. Das Programm wird - zumindest im ökonomischen und sozial-staatlichen Sektor - staatlicherseits durchgezogen. (Im universitären Bildungssektor sind die Professoren zur Zeit in einer Art vorauseilendem Gehorsam dabei, die "Deform" in die eigenen Hände zu nehmen, damit sie dann "nicht so schlimm wird"!) Die allgemeine Kostensenkung findet statt. Doch ob sich der gewünschte Wachstumserfolg herausstellt, ob sich der daran hängende nationale Konkurrenzerfolg einstellt, ist unsicher, weil der Staat mit seinem Programm ziemlich rücksichtslos gegenüber einigen Grundlagen seines bisherigen Erfolges vorgeht. Grund zum Jubeln hat die Mehrzahl der auf Erwerbsarbeit angewiesenen Deutschen - darunter Teile der Studenten - nicht, weder bei sich einstellendem nationalen Erfolg des Programms, noch bei einem nationalen Mißerfolg. Der Erfolg ginge auf ihre Kosten, wie die aktuellen Maßnahmen nur allzu deutlich zeigen. Und der Mißerfolg wird dies erst recht tun, wenn die deutsche Politik an ihren jetzt in Anschlag gebrachten Maßstäben und Urteilen - "Freizeitparadies", "die Deutschen sind verwöhnt", "Gürtel enger schnallen", "Opfer bringen" - festhält; woran nun selbst bei einem Regierungswechsel leider kein Zweifel bestehen kann!