GegenStandpunkt

Die demokratische Wahl

Die Freiheit der Wahl

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Freie Wahlen werden amtlich als das Kernstück der Demokratie geschätzt - durch sie zeichnet sich diese Staatsform vor allen anderen aus. Wahlen, so heißt es, legitimieren die Ausübung der politischen Macht. In der Demokratie wird nicht einfach regiert - das Volk erteilt per Abstimmung höchstförmlich den Auftrag zur Wahrnehmung der Staatsgeschäfte. Die Regierung beruft sich bei ihrer Amtsführung zu Recht auf den Willen des Volkes, da sich ihre Vollmachten der Entscheidung der Wähler verdanken.

Freie Wahlen nehmen aber auch in anderer Hinsicht eine Sonderstellung unter den gesellschaftlichen und politischen Affären ein. Weniger amtlich betrachten sowohl Politiker als auch Wähler diese Veranstaltung nämlich ganz ohne die Ehrerbietung, mit der sich das landläufige Lob der Demokratie stets vorträgt. Diejenigen, die beschlossen haben, Politiker zu werden oder zu bleiben, nehmen Wahlen nüchtern bis distanziert als Bedingung für ihre Ambitionen, im positiven wie im negativem Sinn; und sie zieren sich auch nicht, es auszusprechen. Daß Wahlen eine Gelegenheit sind, in ein (höheres) Amt zu gelangen, sich auf Kosten der Konkurrenten in der eigenen Partei wie in anderen Vereinen zu "profilieren" und durchzusetzen, bekennen sie ohne Scheu. Ebenso vermelden sie hörbar, welche Risiken für sie, ihre Karriere und ihre Partei mit Wahlen zu einem ungünstigen Zeitpunkt verbunden sind; sie sorgen sich öffentlich um den Verlust der Macht, den sie befürchten, wenn die Stimmbürger ihr Vertrauen falsch gewichten. Mit der Heuchelei, dem ganzen Land würde furchtbarer Schaden entstehen, fürchten sie sich umgekehrt keineswegs zu blamieren, auch wenn sie auf diese Weise unverblümt auf den erheblichen Unterschied zwischen ihren Interessen an der Nation und denen der Wähler hinweisen. Ebenso eindeutig fällt die Meinung des abstimmungsberechtigten Volkes aus. In klarem Gegensatz zur Legende von der Macht, die von ihnen ausgeht, betrachten die meisten Wähler die Wahlen als ziemlichen Schwindel, den sie längst durchschaut haben. Daß aufgrund der Abstimmung ihr Wille geschieht, wenn sich die Ermächtigten ans Regieren machen, glauben sie nicht; und sie lassen sich auch nicht nachsagen, daß sie "naiv" und "vertrauensselig" der Vorstellung anhängen, sie könnten etwas "bewirken" oder "verändern". Wählen geht der mündige Bürger selbstbewußt "ohne Illusionen". Merkwürdig ist das schon. Das Maß an Verachtung, das dieser Veranstaltung entgegengebracht wird, kontrastiert nicht nur mit dem riesigen Aufwand, der für das Gelingen der Wahlen sorgt. Schließlich geht es auch um einiges - von den ausgezählten Stimmen hängt es ab, wer regiert, also über den Einsatz des staatlichen Gewaltmonopols bestimmt und Gesetze macht, die er für nötig hält. Aus den Kreuzen auf den Zetteln erwächst die Lizenz zur Verwaltung des nationalen Geldes wie die Befugnis, den Frieden zu unterbrechen und Krieg zu führen. Die Anwärter auf diese Lizenz halten sich viel auf ihre Kompetenz zugute, durch die sie sich als Kandidaten vom Publikum abheben, das für die Führung der Staatsgeschäfte gar nicht vorgesehen ist; aber sie überantworten ausgerechnet den aufs Regiert-Werden abonnierten Laien die Entscheidung darüber, wer die politische Macht übernehmen soll. Die wiederum treffen ihre Wahl - selbst Leute, die am Stammtisch und nach ausgiebigem Studium von SkandalBlättern nur noch "lauter Lumpen" in der politischen Arena entdecken, kennen am Wahlsonntag Unterschiede. Ihre Vorbehalte münzen sie in die Redensart vom "kleineren Übel" um, so daß sie nach der Wahl eine Regierung kriegen, die mit Gesetzeswirkung anordnet, was der Staat von der Wirtschaft und sozial Schwachen, den Steuerahlem und Autofahrern, den Frauen, Studenten, Rentnern und Soldaten braucht.