Gruppe 3

Das "Kapital"

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Das „Kapital“ von Karl Marx findet an der Universität immer wieder Liebhaber – und das auch dann, wenn kaum einer von ihnen mit den politischen Konsequenzen, die der alte Autor aus seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ gezogen hat, noch etwas zu tun haben will. Am wenigsten nehmen Ökonomen das Buch über die Ökonomie zur Kenntnis; sie halten es mit Grenznutzen, Gleichgewicht und den schönen Kurven, die es bebildern. Frage wie Antwort nach der Quelle des Profits in ihrer Welt der Gewinnmaximierung verstehen sie überhaupt nicht; so etwas gilt in Fachkreisen als reine Metaphysik. Wenn sie einen Marx loben, dann den kühnen Visionär der Globalisierung, der schon vor 150 Jahren wusste, dass sich nichts und niemand auf der Erde dem Siegeszug der Profitmacherei entziehen kann. Es wundert sie höchstens am Rande, dass sich dieser Marx für sein Loblied auf die Modernität des Kapitals nicht von den Kapitalisten bezahlen ließ, sondern zu ihrem Sturz aufrief.

Soziologen halten den alten Kommunisten für einen verdienten Gründervater ihres Fachs. Sie beeindruckt an Marx der große Wurf: eine Theorie, die alle Zusammenhänge und Zwänge von Gesellschaft auf einmal erklärt. Basis und Überbau, Ökonomie und Politik, Recht und Moral, Religion und Ideologie – alles soll er auf ein einziges „Strukturprinzip der modernen Gesellschaft“ zurückgeführt haben. Das finden sie genial – und natürlich grundfalsch. Sie sind klüger und wissen, dass die Welt nicht „eindimensional“ ist und nicht „monokausal“ erklärt werden darf, da müssen sie die Argumente, die die dicken blauen Bände füllen, gar nicht näher ansehen. Zumal Marx’ Vorhersagen von Verelendung, Klassenkampf und einer Spaltung der Gesellschaft ja nicht eingetreten sind. Die Lohnabhängigen, die auch Soziologen ohne weiteres von den besitzenden Ständen unterscheiden können, richten sich in der Rolle der „sozial Schwachen“ häuslich ein – sind damit also bestens bedient. Zu seiner Entlastung halten heutige Sozialwissenschaftler Marx zugute, dass er nicht wissen konnte, wie wunderbar es seinen ausgebeuteten Proletariern im Kapitalismus noch gehen würde.

Auch Philosophen mögen Marx: Wie er eine dialektische Ableitung aufschreibt, vom Abstrakten zum Konkreten aufsteigt, und über tausend Seiten hinweg die Setzung eines unbewiesenen Anfangs rekursiv einholt – das konnte außer ihm nur Hegel. Philosophen freuen sich, wenn sie dessen Logik im »Kapital« nachgebaut finden. Andere mögen den religiösen Touch, den seine eschatologische Geschichtsphilosophie verbreitet: Eine Geschichtsphilosophie, die gut ausgeht – wo gibt's es das sonst noch?

Dann gibt es noch die welthistorisch aufgelegten Ex-Linken. Sie lieben die drei Bände, weil sie ihnen Hoffnungsgründe für ihre historische Zuversicht entnehmen: Ihnen hat Marx die Prophezeiung hinterlassen, dass es mit dem Kapitalismus auf lange Sicht nicht gut gehen wird und man mit etwas Geduld und im Verlauf einiger Generationen auf seinen Zusammenbruch warten kann. So finden viele vieles „interessant“ am »Kapital« von Marx; am wenigsten das, wovon das Buch tatsächlich handelt: Die Erklärung und Kritik der Wirtschaft, deren Prinzipien heute wie vor 150 Jahren das Leben der Gesellschaft beherrschen. Die Kritik von Ware und Geld, von Fabrikarbeit und Rationalisierung, von Lohn und Wachstum erfordert aber auch ein etwas ernsteres Studium des Textes als die weltanschaulichen Essenzen, mit denen sich Marx akademische Liebhaber zufrieden geben.

Wie viel kritische und neue Einsichten dem blauen Buch schon auf den ersten Seiten zu entnehmen sind, soll ein einführender Vortrag zeigen, mit dem wir einen »Kapital«-Arbeitskreis beginnen wollen. Wer eine Ausgabe des »Kapital« besitzt, möchte sie bitte auf die Veranstaltung mitbringen.